Schildchen und die Pappdeckel

Der ehemalige Leiter der Reiseauskunft am Hauptbahnhof erinnert sich an die Hauptstadtzeit. Fast sein gesamtes Berufsleben verbrachte er von 1947 bis zur Pensionierung hier und stieg später zum Leiter der Reiseauskunft auf.

 Zurück an alter Wirkungsstätte: Hermann Schildchen war bis zu seiner Pensionierung Leiter der Reiseauskunft am Bonner Hauptbahnhof.

Zurück an alter Wirkungsstätte: Hermann Schildchen war bis zu seiner Pensionierung Leiter der Reiseauskunft am Bonner Hauptbahnhof.

Foto: Roland Kohls

Bonn. Hauptbahnhof Bonn, Eingangshalle: Hermann Schildchen ist zurück am ehemaligen Arbeitsplatz. Fast sein gesamtes Berufsleben verbrachte er von 1947 bis zur Pensionierung hier und stieg später zum Leiter der Reiseauskunft auf.

"Ich wollte immer zur Bahn", sagt der Mann, der auf Anhieb rheinische Gelassenheit ausstrahlt. Wer nun glaubt, sein sehnlichster Wunsch sei der Platz im Führerstand einer Lok gewesen, liegt falsch. Seine Bekanntschaft mit Dampfloks beschränkte sich auf eine Modelleisenbahn. Im Berufsleben wollte Schildchen "etwas mit Menschen" zu tun haben.

1947 fing der 1931 in Kessenich Geborene bei der Bahn an. Andere Zeiten waren das, die Bundesrepublik noch nicht gegründet, die Eisenbahnen rollten noch unter (sich lockernder) Aufsicht der Besatzungsmächte. Als Schildchen am 8. Mai 1996 nach seinem letzten Arbeitstag den Hauptbahnhof verließ, war die frühere Bundesbehörde Deutsche Bahn zwei Jahre zuvor als "Deutsche Bahn AG" privatisiert worden, aus der Bundeshauptstadt Bonn war zwei Jahre zuvor die Bundesstadt Bonn geworden, und die Reiseauskunft hieß "Reise-Center".

Drei Jahre dauerte seine Ausbildung als "Jungwerker", als Allroundkraft also, "die man für alles gebrauchen kann". Danach ackerte Schildchen in der Bahnmeisterei, dann zwei Jahre auf dem Bad Godesberger Bahnhof, unter anderem in der Gepäckabfertigung. "Bad Godesberg nannte man damals 'das Potsdam von Bonn'", erinnert sich Schildchen. Zurück in Bonn, wechselte Schildchen als "Bundesbahngehilfe" in den Verkehrsdienst, genauer: in die Fahrkartenausgabe.

Heute druckt man sich den Fahrschein am PC aus, damals berechtigte zur Fahrt ein schmaler Streifen aus Karton, intern "Pappdeckel" genannt, der dann vom Schaffner gelocht wurde. Mittels eines Automaten stellte Schildchen diese "Pappdeckel" her - die kraftvolle Bewegung hat er heute noch drauf.

Vor Augen steht ihm auch noch der "Regierungsbahnsteig" an der Quantiusstraße. Dank eines speziellen Tores konnten die Limousinen mit ranghohen Politikern oder Staatsgästen direkt vorfahren. "Dort stand dann der Salonwagen, der im Winter natürlich vorgeheizt wurde."

Die Bundespräsidenten Heuss und Lübke, aber auch die Kanzler Adenauer und Brandt hat Schildchen ein- und aussteigen sehen. An seiner Fahrkartenausgabe hingegen waren die "hohen Tiere" selten. Die orderten ihre Fahrkarten bei der Reisestelle im Bundeshaus.

Ab 1984 arbeitete Schildchen in der Reiseauskunft. Für ihn ein Traumjob. "Ich hab' ja ein Helfersyndrom", scherzt er. Wenn etwa ältere Menschen zu einer Beerdigung mussten, war Feingefühl gefragt. Die schönste Geschichte seines Berufslebens? Die trug sich in der Fahrkartenausgabe zu: "Ich hatte einen Kollegen, der hieß Schild. Also standen dort an zwei Schaltern die Namensschilder Schild und Schildchen. Dem Fotografen eines Boulevard-Magazins war das ein Foto wert."

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