Rücksichtslosigkeit in Natur nimmt zu

Quietschende Bremsen, ein Hilferuf, Hundegebell und Kindergeschrei - ein Szene, die sich immer öfter im Kottenforst abspielt. Die Rücksichtslosigkeit im Freien nimmt zu, das meint auch der Leiter des Forstamts Rhein-Sieg-Erft.

Rücksichtslosigkeit in Natur nimmt zu
Foto: Forstamt

Kottenforst. Quietschende Bremsen, ein Hilferuf, Hundegebell und Kindergeschrei - ein Szene, die sich immer öfter im Kottenforst abspielt. Die Waldwege werden zunehmend von Freizeitsportlern und Erholungsuchenden genutzt. Dabei kommt es zu unliebsamen Begegnungen: Der Mountainbiker fährt zu schnell um die Kurve, sieht plötzlich eine Frau mit Kinderwagen und Hund an der Leine.

Er macht eine Vollbremsung, die Frau erschrickt sich. Das Forstamt Rhein-Sieg-Erft registriert diese Zusammenstöße vermehrt und will bei seinem Waldfest am Sonntag, 29. August, von 11 bis 16 Uhr am Jägerhäuschen in Röttgen für mehr Verständnis untereinander werben. Mit Forstamtsleiter Uwe Schölmerich sprach Holger Willcke.

General-Anzeiger: Welche Konfliktgruppen gibt es im Wald, wer stört wen am meisten?

Schölmerich: Konflikte treten um so mehr in Erscheinung, je gegensätzlicher die Ansprüche der Nutzer sind. Schnelle Fahrradfahrer zum Beispiel kommen Familien in die Quere. Oder Skater, die Platz brauchen und durch Fahrzeuge gestört werden. Klassisch ist auch der Konflikt zwischen dem Anspruch, den Hund frei laufen zu lassen, und dem Jogger, der vielleicht schon mal gebissen oder verbellt worden ist. Außerdem ist es problematisch, wenn Leute die Regeln nicht beachten, Reiter zum Beispiel nicht auf dem Reitweg reiten, sondern auf dem Wanderweg. Der Jäger fühlt sich gestört, wenn nachts auch abseits der Wege mit Stirnlampen querfeldein gelaufen wird. Mitarbeiter der Forstbetriebe erfahren oft wenig Verständnis für ihre notwendige Arbeit, sei es der Holzeinschlag oder auch der Wegebau. Nicht zuletzt genannt werden dürfen die Konflikte zwischen dem Naturschutz und dem Wunsch, überall Pilze oder Beeren zu sammeln. Da fehlt oft jedes Verständnis, manchmal herrscht auch die einfache Unkenntnis.

GA: Kommt es zu Unfällen, Streitigkeiten?

Schölmerich: Wir hören schon öfters von Streitigkeiten. In einzelnen Fällen sind auch Tätlichkeiten zwischen Waldbesuchern berichtet worden. Häufig sind dabei Radfahrer, oft in Gruppen, beteiligt. Beschwerden gibt es auch über Autofahrer im Wald, wobei es in der Regel keine Forstbediensteten sind, da die über die Problematik bestens informiert sind. Bei trockenem Wetter zum Beispiel muss man entsprechend langsam fahren, damit es nicht so staubt.

GA: Verzeichnet das Forstamt Anzeigen über Vorfälle und wenn ja, wie werden die geahndet?

Schölmerich: Anzeigen beziehen sich meistens auf Autoverkehr im Wald. Denen gehen wir regelmäßig nach, wenn wir die nötigen Angaben wie Ort, Zeit und Kennzeichen haben. Bei unberechtigten Fahrten wird dann ein Verwarngeld fällig. Wenn der Betroffene nicht zahlt, wird ein Bußgeldverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet, wie bei anderen Ordnungswidrigkeiten auch. Man muss hier allerdings darauf aufmerksam machen, dass ein Waldeigentümer auch zu seinem Waldstück hinfahren darf. So sind zum Beispiel im Vorgebirge mit vielen Privatwaldparzellen viele berechtigt, die Waldwege auch zu benutzten. Das führt dann bei Spaziergängern, die das nicht wissen, schnell zu Unmut. Oder Brennholzkunden, die samstags Holz aus dem Wald holen, sind in den Erholungsschwerpunkten auch nicht gerne gesehen, obwohl sie zur Waldpflege und zum Klimaschutz durch Brennholznutzung beitragen.

GA: Wie verhält sich ein Förster im Wald, wenn er Konflikte dieser Art feststellt?

Schölmerich: Unsere Rolle ist einerseits die der Ordnungsbehörde, die mit den Mitteln des Ordnungsrechtes eingreifen muss, wenn Forstrecht verletzt ist. Wichtiger ist aber, die Erholungssuchenden aufzuklären - über den rechtlichen Rahmen und vor allem aber über die Notwendigkeit, Rücksicht auf die anderen Waldnutzer und Waldfunktionen zu nehmen. Generell gilt in der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten der Ermessensspielraum. Das heißt, dass man im Einzelfall abwägen und überlegen muss, was am ehesten zum Erfolg führt. Im einen Fall kann das ein Verwarngeld sein, im anderen Fall einfach nur eine Aufklärung, ein freundliches Gespräch, um Verständnis zu wecken. Allerdings fehlt oft die Zeit für lange Gespräche. Ein 2000-Hektar-Revier kann man nicht mehr so überwachen wie früher eine halb so große Fläche.

GA: Was unternimmt das Forstamt vorbeugend, um Konflikte dieser Art im Wald zu vermeiden?

Schölmerich: Wir werben aktiv für Verständnis durch Einzelgespräche sowie durch Veröffentlichungen und Veranstaltungen wie die in den nächsten Tagen. Wir wollen, dass die Nutzergruppen untereinander ins Gespräch kommen. Jeder kennt die Unterschiede in der Perspektive, wenn er zum Beispiel als Fahrradfahrer oder als Autofahrer am Straßenverkehr teilnimmt. Im einen Fall sieht man die Fahrradfahrer kritisch, im anderen Fall die Autofahrer, die einen in zu geringem Abstand überholen. Es ist also wichtig, die jeweils andere Perspektive im Gespräch rüberzubringen. Ganz wichtig ist auch, dass die Verbände der Nutzer wie die Reiter-, Wander-, Fahrrad- oder Jagdverbände ihre Mitglieder zu rücksichtvollem Verhalten im Wald anhalten. Ganz kontraproduktiv sind da Beiträge, die nur die gesetzlich verbrieften Rechte in den Vordergrund stellen, aber die Rücksichtnahme auf andere nicht erwähnen. Auch in dieser Beziehung wollen wir mit den Vertretern der Nutzergruppen mehr ins Gespräch kommen.

GA: Haben die Konflikte in den vergangenen Jahren zugenommen?

Schölmerich: Es ist schon unser Eindruck, dass manche Zeitgenossen den Wald nur noch als Kulisse für ihren Freizeitsport betrachten und ziemlich rücksichtslos gegenüber allen auftreten, die da vielleicht stören. Diese Leute interessiert nicht mehr, wem der Wald gehört, was er sonst für Funktionen hat und wer sich vielleicht auch noch erholen will. Das mag ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen sein. Auffällig ist auch, dass eine kleine Gruppe von Menschen auf jede Art von Bitte um angepasstes Verhalten doch sehr aggressiv auftritt. Da helfen dann die besten Argumente nichts mehr. Die Polizei kann da auch ein Lied von singen.

GA: Gibt es im Kottenforst besondere Gruppen von Waldnutzern, die in benachbarten Revieren vielleicht nicht vorkommen?

Schölmerich: Im Kottenforst gibt es wegen der langen Asphaltwege viele Skater, die in anderen Gebieten eher nicht vorkommen.

GA: Gibt es gesetzliche Regelungen? Und wenn ja, welche?

Schölmerich: Es gibt da vor allem den Paragrafen 2 des Landesforstgesetzes, der im dritten Absatz auch eine Wohlverhaltensklausel enthält wie die Straßenverkehrsordnung: Rücksicht auf andere ist also auch im Wald eine gesetzliche Verpflichtung.

Zur PersonUwe Schölmerich ist 55 Jahre alt, in Marburg geboren, verheiratet und hat zwei Töchter. Der Forstdirektor leitet seit 1987 verschiedene Forstämter in der Region. Zuerst das Forstamt Ville, dann das Forstamt Bonn und seit 2007 das Forstamt Rhein-Sieg-Erft. Schölmerich ist Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft.

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