Missbrauchsskandal "Die Kirche ist auf der Anklagebank"

Die "besondere Fallhöhe" bei sexuellem Missbrauch durch Priester unterstrich am Montagabend bei einer Diskussionsveranstaltung im Augustinum Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner jesuitischen Canisius-Kollegs.

 Klaus Mertes (rechts) und Franz-Xaver Kaufmann (links) diskutieren im Augustinum über Missbrauch in der katkolischen Kirche. Das Zwiegespräch moderiert Wolfgang Thielmann.

Klaus Mertes (rechts) und Franz-Xaver Kaufmann (links) diskutieren im Augustinum über Missbrauch in der katkolischen Kirche. Das Zwiegespräch moderiert Wolfgang Thielmann.

Foto: Volker Lannert

Bonn. Die "besondere Fallhöhe" bei sexuellem Missbrauch durch Priester unterstrich am Montagabend bei einer Diskussionsveranstaltung im Augustinum Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner jesuitischen Canisius-Kollegs.

Wenn Priester übergriffig würden, komme erschwerend das pastorale Element dazu. "Diese Patres haben ihre Aufgabe als gute Hirten für sexualisierte Gewalt missbraucht", erklärte der Jesuit in einem von rund 280 Zuhörern besuchten Podiumsgespräch mit dem Soziologen Professor Franz-Xaver Kaufmann.

Mertes hatte Anfang 2010 in Berlin erstmals sexuelle Übergriffe durch Jesuiten öffentlich gemacht und damit eine Welle der Erschütterung in der katholischen Kirche und der Gesellschaft ausgelöst. Auch das Godesberger Aloisiuskolleg (Ako) wurde davon ergriffen. Bis heute wird hier ermittelt.

Die Kirche sitze aber auch wegen ihres jahrzehntelangen Wegsehens auf der Anklagebank, gab Mertes zu. Kaufmann hatte der Kirche "eine moralische Lethargie" bescheinigt, für die es keine zeitgeschichtliche Entschuldigung geben dürfe. "Wir hängen mit drin, weil wir als Hirten das Blöken der Schafe nicht hören wollten", bedauerte Mertes nun. Die Kirche habe bewusst weggehört, wenn kindliche Opfer ihr Entsetzen in Wort zu fassen versuchten.

"Du lügst" oder "So redet man nicht über Priester" seien typische Ausflüchte gewesen. Und wenn Taten dann doch bewiesen waren, seien die Täter innerhalb der Kirche einfach versetzt worden. "Dass die Opfer bei uns auf taube Ohren trafen, ist Teil des Missbrauchs", sagte der Jesuit, der kürzlich wieder am Berliner "Eckigen Tisch" mit der gleichnamigen Opfergruppe verhandelte. "Wir müssen öffentlich sagen können: Die Kirche ist eine Sünderin."

Mertes bedauerte den "klerikalen Corpsgeist mit hochmütigem Charakter". Deshalb hätten die Priester jetzt die Aufgabe, für die Opfer im jeweiligen Pastoral zu sorgen. "Wenn wir nicht bereit sind, aus der Erfahrung der Opfer zu lernen, versündigt sich die Kirche erneut", spannte Mertes den Bogen noch weiter. Man müsse sich auf die Opfer zubewegen.

Das heiße auch, dass sich die Kirche diesen Prozess etwas kosten lassen müsse, spielte er auf die geforderten Genugtuungszahlungen an. Und die dürften nicht mit therapeutischen Hilfeleistungen verrechnet werden. "Ich bin auch gegen Staffelungen der Zahlungen. Damit schaffen wir Opfer der ersten und zweiten Klasse." Das Angebot des Jesuitenordens von 5 000 Euro pro Opfer bezeichnete Mertes selbstkritisch als "eine kleine hilflose Summe". Die Jesuiten planten zudem, zu diesem Thema eine Wallfahrt zu veranstalten, gab Mertes erstmals öffentlich preis.

Als Moderator Wolfgang Thielmann dem inzwischen schon als "Aufklärungsguru" gefeierten Jesuiten auf die Missbrauchsfälle an seiner eigenen früheren Schule ansprach, zog Mertes sich ins Schneckenhaus zurück. Von 1966 bis 1973 war er Ako-Schüler gewesen. "Der Begriff Missbrauch stand uns damaligen Jugendlichen noch gar nicht zur Verfügung", lautete seine kurze Antwort. Und er wolle erst das Ermittlungsergebnis des neuen externen Ako-Untersuchungsteams abwarten.

Dem GA liegen deutliche schriftliche Mertes-Äußerungen über die Vergangenheit des Ako vor. Opfern gegenüber definiert er das "Muster" des Umgangs mit Schutzbedürftigen, das er am Bonner Kolleg kennengelernt habe, folgendermaßen: Da habe es "übergriffige Ansprache, Missbrauch, pädophile Ästhetik und brutale Abstrafung, und das Ganze in einer perfekten Schweigespirale, vom hochmütigen Mythos gedeckt" gegeben. Was er heute nur "in Erschütterung und Scham" so formulieren könne, so der Pater.

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