Klima-Debatte zwischen Einsicht und Aktionismus

Zum Kommentar "Chaos und Konsens" von Wolfgang Wiedlich vom 1. April.

Zwei Kajakfahrer passieren im September 2010 einen Eisberg im Fjord von Narsaq (Grönland)

Zwei Kajakfahrer passieren im September 2010 einen Eisberg im Fjord von Narsaq (Grönland)

Foto: dpa

"Im Fokus stehen sprunghafte Entwicklungen, die die Vorstellungskraft überfordern", schreibt Wolfgang Wiedlich im Bonner General-Anzeiger vom 1. April zum UN-Klimareport und fügt hinzu: "So sind dem Menschen lineare Entwicklungen (1 - 2 - 3 - 4 - 5) vertrauter als exponenzielle (1 - 2 - 4 - 8 - 16 - 32), wie sie in jedem chaotischen System schlummern."

Wie fremd den meisten ist, was in chaotischen Systemen schlummert, lässt sich mit einer Denksportaufgabe demonstrieren: Auf einem See ist am ersten Tag eine Seerose. Am zweiten Tag sind es zwei, am dritten vier, am vierten acht usw. Am dreißigsten Tag ist der See voll. Am wievielten Tag war der halbe See bedeckt mit Rosen?

Darauf wird es bestimmt eine Reihe von Antworten geben wie: So um den fünfzehnten Tag rum. Und diejenigen, die klug sind und "einen Tag vorher" sagen, werden die überfallartige Plötzlichkeit eigentlich gar nicht fassen können, aber immerhin begreifen, was "fünf Minuten vor zwölf" bedeutet. Einsicht reicht nicht. Dazu gehört - anstatt "Eines Morgens sah ich durch das Fenster meines Schlafgemachs, dass ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden Enten gleichsam überdeckt war..." (Gottfried A. Bürger: "Münchhausen", Insel, Seite 17) - der Schock: "Wie? Ist es schon so spät?"

Ernst-Jörg Neuper, Niederkassel

Ich bestreite nicht die Richtigkeit des UN-Klimareports. Ich bin aber - im Gegensatz zur politisch korrekten Meinung in Deutschland - nicht der Ansicht, dass die Konsequenz eine Verdopplung unserer Anstrengungen zum Stopp der Klimaerwärmung sein muss, koste was es wolle. Ich halte es für sinnvoller, Gelder bereitzustellen, um die Folgen der Erwärmung aufzufangen. Selbst wenn wir in Deutschland die Emissionen halbieren würden, bedeutete das für das Weltklima so gut wie nichts - und wer über die deutschen bzw. europäischen Grenzen hinausblickt, wird feststellen, dass weite Teile der Welt sich nicht sehr bemühen!

Beim deutschen Aktionismus kann es aber nicht die Lösung sein, den kleinen Verbraucher, der an seinem Hausbrand nichts ändern kann, immer mehr in Kosten zu treiben, während die Energiegroßverbraucher gleichzeitig zu Lasten eben dieses Verbrauchers entlastet werden (EEG-Gesetz!). Da zählen plötzlich Arbeitsplätze mehr als der Klimaschutz. Ist das konsequent? Der deutsche Wunsch, Musterschüler zu sein, wird nur dazu führen, dass unser Leben immer teurer wird bei gleichzeitigem Verlust von Lebensqualität, die früher einmal selbstverständlich war.

Wer sich ein familiengerecht großes Auto kauft, statt mit dem Rad zu fahren, wer in Urlaub fliegt, statt ins Freibad zu gehen, und wer noch Südfrüchte kauft, statt nur heimisches Obst zu essen, wird immer mehr genötigt, sich dafür zu entschuldigen. Das Motto scheint zu sein "Zurück in die 60er Jahre". Fragt sich nur, ob es das ist, was wir wirklich wollen.

Michael Küpper, Sinzig

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort