Es bleiben Fragen offen

Zum Bericht "Gericht: Geringe Schuld" vom 12. Dezember

In der Sache unbefriedigend oder: Die Justiz löst keine gesellschaftlichen Herausforderung. Dass es im "Fall Anna" zu einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit der Schuld gegen eine Geldbuße von 2000 Euro kommt, kann für die angeklagte Mitarbeiterin des Jugendamtes der seelischen Beruhigung dienen, weil damit die monatelange Belastung beendet wird, im Blickpunkt eines öffentlichen Verfahrens zu stehen.

In der Sache ist das Ergebnis unbefriedigend: erstens für die "Optik", weil es nach außen wie ein (teilweises) Schuldeingeständnis der Angeklagten ankommt, obwohl die Strafprozessordnung davon ausgeht, dass dies bei einer derartigen Einstellung gerade nicht der Fall sein darf. Und zweitens hätte man gerne erfahren, wie die "Regeln des Kunst" seitens des Jugendamts verbessert werden müssen, damit sich die Wahrscheinlichkeit eines so tragischen und qualvollen Todes eines kleinen Mädchens durch seine Pflegeeltern in Zukunft möglicherweise verringert. Aber es liegt wohl im System der Strafjustiz, dass sich alle Beteiligten mit der Feststellung begnügten, dass "alle, nicht nur die Angeklagte, auf die Geschichten der Pflegemutter hereinfielen".

Es bleibt zu hoffen, dass die in ersten Ansätzen herausgearbeiteten Unterschiede zwischen den Aufgaben der Jugendhilfe (Fördern und Fordern) und denen der Strafjustiz (Ermitteln und Bestrafen) nicht wieder verschwimmen. Leider äußerte sich der Vorsitzende Richter zuletzt dahingehend, dass die Sozialarbeiter hätten misstrauischer sein und mehr Hintergründe ermitteln sollen. Und es wäre zu wünschen, dass der Prozess die Jugendhilfe dazu veranlasst, ihre Anstrengungen zu verstärken, die Kommunikation zwischen den am Aufwachsen von Kindern Beteiligten zu verbessern.

Sven Borsche, Bonn

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