Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Reaktionen auf das Aus des Betreuungsgeldes

BERLIN · Eine weitgehend unterschätzte Qualität unserer Politiker besteht in ihrem angeborenen Talent für kreative Wortschöpfungen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Beispiel hat gestern das Wortfeld "Sparen" um eine wirklich sehr fantasievolle Formulierung ergänzt.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Reaktionen auf das Aus des Betreuungsgeldes
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Es geht um das Betreuungsgeld. Das Bundesverfassungsgericht hat diese allein in diesem Jahr 900 Millionen Euro teure Sozialleistung des Bundes gekippt. Eine Ausgabe, die gerade für verfassungswidrig erklärt worden ist, muss man einsparen - könnte man meinen. Nicht doch. Die Reflexe der Regierenden funktionieren anders. Sparen ist ein Wort, das für die Ministerin zu neutral klingt. Das ist hässlich. Deshalb sagte sie gestern lieber: Das Geld dürfe "nicht im Haushalt des Bundesfinanzministeriums versickern". Und schon klingt es selbstverständlich, dass die Millionen weiter sprudeln. Und bei der in der Koalition zur Zeit allüberall herrschenden Gereiztheit ist das doch eine sehr zu würdigende überparteiliche Gemeinsamkeit.

Die Frage ist nur: Wie? Kaum war gestern das Karlsruher Urteil bekannt geworden, begann der Streit um die Millionen. Die Folgen des Karlsruher Urteils werden die Politik noch auf längere Sicht beeinflussen. Auch auf Landesebene. Ein Nebeneffekt, der demnächst noch deutlicher zu Tage treten wird, ist nämlich, dass die Verfassungsrichter den wichtigen Landtagswahlkämpfen im kommenden Frühjahr ein neues Thema beschert haben. Die Wahlkämpfer beginnen bereits, in die Schützengräben einzurücken: Das Betreuungsgeld habe Frauen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Manu Dreyer. Kinder würden von "frühkindlicher Bildung ferngehalten.

Und auch im Südwesten formieren sich die Fronten. Die rot-grüne Landesregierung hat nicht die Absicht, die Leistung auf Länderebene weiterzuführen. Es habe "Mitnahme-Effekte ausgelöst", die den Zielen guter Bildung nicht dienten, sagte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Ganz anders sein CDU-Gegenkandidat bei den Wählen im Frühjahr, Guido Wolf. Er nannte das Betreuungsgeld "eine Erfolgsgeschichte im Land". Über 100 000 baden-württembergische Eltern profitierten davon. Die dürften nun nicht "im Regen stehen gelassen werden".

Dieser Streit wird hitziger werden, je näher der Wahlkampf rückt. In Berlin aber ist jetzt schon Feuer unterm Dach. Die CSU braucht eine Strategie, denn auch ihr zweites Prestige-Projekt gerät unter Druck: Was aus der Maut letztlich wird, kann niemand sagen. Zwei Pleiten wären schwer zu ertragen. Gut möglich also, dass die Bayern auch an anderer Stelle ihr Profil schärfen wollen. Vermutlich wird es in der Koalition demnächst in Sachen Flüchtlingspolitik rund gehen.

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