Ausstellung in Springfield/Illinois Obama und die Lincoln-Bibel

SPRINGFIELD · Springfield ist Abraham Lincoln - der 16. US-Präsident symbolisiert für viele Amerikaner "die Macht der Hoffnung". Auf Schritt und Tritt begegnet man Skulpturen, der Jahreskalender ist durchgetaktet mit Gedenkveranstaltungen. Natürlich kann man auch Lincolns Haus besuchen. Das letzte und einzige Haus, das der einstige Rechtsanwalt besessen hat.

 Der Geist der Bibliothek: Eine beeindruckende Multivisionsshow führt im Lincoln Museum ins Leben des 16. Präsidenten ein.

Der Geist der Bibliothek: Eine beeindruckende Multivisionsshow führt im Lincoln Museum ins Leben des 16. Präsidenten ein.

Foto: SPRINGFIELD CONVENTION & VISITORS BUREAU, dpa, Cem Alkalin

Annie Leibovitz hat sie alle fotografiert. John Lennon und Bruce Springsteen, die Queen und Barack Obama, Johnny Depp und Nicole Kidman. In ihrem Fotoband "Pilgrimage" (Wallfahrt) hingegen ist keine einzige Person zu sehen. Landschaften, Häuser, Gegenstände, die eine Bedeutung für sie haben.

Etwa der zerschossene Fernseher von Elvis Presley. Und Lincolns Handschuhe. Jene Handschuhe, die der 16. Präsident der Vereinigten Staaten in Ford's Theatre trug, als er von John Wilkes Booth erschossen wurde.

Warum diese weißen, blutbefleckten Handschuhe, die aussehen wie schrumpelige Haut? "Weil Lincolns Leben die tragische Version des amerikanischen Traums war", erklärt sie im vergangenen Jahr bei der Ausstellungseröffnung ihrer Fotos im Abraham Lincoln Presidential Library and Museum in Springfield. "Auf seine Handschuhe zu blicken, war für mich wie in seine Hände zu schauen."

Das beschauliche Städtchen Springfield ist wie ein Spiegel amerikanischer Geschichte und Kultur. Hier führt die berühmte Route 66 durch, hier entstanden die ersten Diners, jene Schnellrestaurants mit Neonlicht, geschwungenen Theken und gepolsterten Bänken, wo es zu günstigen Preisen Hamburger und Cola und das Lächeln der uniformierten Bedienung für ein kleines Trinkgeld gab.

Hier entwickelte Frank Lloyd Wright seine berühmte Architektur, und hier lebte Abraham Lincoln. Am Rande der 116 000 Einwohner zählenden Hauptstadt von Illinois wollte der Präsident seine letzte Ruhestätte finden. Am 3. Mai 1865 erreichte der Leichnam des Präsidenten Springfield, nachdem er quer durch die USA mit dem Zug transportiert worden war.

Es ist liebevoll erhalten worden, und für Kyle McGrogan, der im Park die freiwilligen Helfer koordiniert, ist der Dienst eine Ehrensache. Würdevoll führt er die Touristen durch das enge Haus, in dem man den Schreibtisch, den Schaukelstuhl und das Ehebett der Lincolns sehen kann und sich verwundert fragt, wie der 1,93 Meter große Mann da nur hineingepasst hat.

Abraham Lincoln Presidential Library and Museum

Nicht minder stolz begrüßt am anderen Ende der Stadt Kathleen Mudd die Besucher im Abraham Lincoln Presidential Library and Museum, das vor zehn Jahren eröffnet wurde. Eine beeindruckende Huldigung des berühmten Präsidenten. Man wandelt durch lebensechte Kulissen, die die Stationen eines amerikanischen Lebens zeigen, etwa die Hütte in Kentucky, in der Lincoln aufwuchs.

Natürlich gibt es eine einführende Show. Der Besucher versinkt in roten Plüschsitzen, während auf der Bühne Lincoln zum Leben erweckt wird. Als Hologramm. "Die Menschen sind weg, aber ihre Worte und Taten bleiben", sagt der Schauspieler in einer Bibliotheksszenerie des 19. Jahrhunderts. Er führt durch die Geschichte, die jedes Schulkind in Amerika kennt. Die Geschichte des einfachen Mannes, der ins Weiße Haus zog und die Einheit der USA bewahrte. Die Stars and Stripes wehen im Wind.

"Lincoln wurde zur Legende", sagt der Schauspieler. Hinter ihm erscheint eine riesige Aufnahme, die nur Lincolns Augen zeigt. "Seine Augen sprechen Bände." Es folgt die Geschichte von dem Pferd, das Lincoln trat und am Auge traf, von dem einfachen Jungen, der jedes Buch las, das er in die Finger bekam, von seiner Frau Mary Todd, vom Tod der Söhne. "Warum fasziniert uns die Geschichte Lincolns?", fragt der Schauspieler rhetorisch. "Vielleicht, weil seine Geschichte unsere Geschichte ist."

Der berühmteste Präsident aller Zeiten

Tatsächlich gilt Lincoln ("Hey, don't call me “Abe„.") 200 Jahre nach seiner Geburt als populärster Präsident aller Zeiten. Und das, obwohl im Bürgerkrieg mehr Amerikaner ihr Leben ließen als in allen folgenden Kriegen zusammen. John F. Kennedy betete am Sarg Lincolns in Springfield, als die Kubakrise zu eskalieren drohte, Martin Luther King hielt seine berühmte Rede ("I have a Dream") mit dem Lincoln-Memorial im Rücken.

Kaum ein Präsident, der nicht in Springfield wenigstens einmal eine Rede gehalten hätte. Kennedy warb hier für seine Visionen und seinen Mut "im Namen Abraham Lincolns". Lincoln stehe für "Führerschaft, Mut und Weitsicht", sagte Kennedy.

Selbst jemand wie Lyndon B. Johnson, der eher mit dem Kriegsdebakel in Vietnam in Verbindung gebracht wird, sah sich in der Tradition Lincolns: Er hat viele soziale Reformen durchgesetzt und mit dem gegen heftige Widerstände unterzeichneten Civil Rights Act 1964 das Wahlrecht für die schwarze Bevölkerung ermöglicht.

Bei der Eröffnung des Lincoln Museums vor zehn Jahren bekannte George W. Bush, er sei ein großer Verehrer Lincolns. "Wer das Leben und das Opfer von Abraham Lincoln versteht, versteht die Bedeutung Amerikas und seine Versprechen", sagte er. Bush wurde damals begleitet von einem relativ unbekannten Senator aus Illinois: Barack Obama. Der hat die Lincoln-Verehrung auf eine neue Stufe gehoben.

Seine Präsidentschaftskandidatur gab er mit einer glühenden Rede vor dem Old State Capitol in Springfield bekannt. Seine Rede war gespickt mit Lincoln-Zitaten, vor allem, was der 16. Präsident über die Einheit der Nation gesagt hatte, was sein Engagement für das einfache Volk betraf. Lincolns Mut, seine Integrität, seine Hoffnungen. So wie Obamas großes Vorbild einst seinen größten Widersacher, William Seward, zum Außenminister machte, machte er Hillary Clinton zur Secretary of State.

Obama und die Lincoln-Bibel

Obama war auch der erste Präsident in mehr als einhundert Jahren, der seinen Amtseid auf die Lincoln-Bibel geleistet hat. Wie sehr sich die beiden Biografien ähneln, das hat Harry Wills einmal in der New York Times dargelegt: Beide hatten vor ihrer Präsidentschaft eher provinzielle Erfahrungen in der Politik gesammelt, beide passten so gar nicht in das Bild eines Staatsmannes: der eine ein eher ungelenker Mann aus dem Mittleren Westen mit selbst angeeigneter Bildung, der andere schon aufgrund seiner Hautfarbe. Aber beide gesegnet mit einem ungeheuren rhetorischen Talent.

Lincoln ist ein amerikanischer Held, den jeder Amerikaner in der Hand hält: ob als Ein-Cent-Münze oder als Fünf-Dollar-Schein.

37 Städte haben sich nach ihm benannt, vier Universitäten und 89 Schulen. Ein Symbol des amerikanischen Way of Life, wie Obama sagt: "Das Leben eines großen, schlaksigen Selfmade-Anwalts aus Springfield zeigt uns, dass eine andere Zukunft möglich ist.

Er sagt uns, dass es die Macht der Überzeugung gibt. Dass wir ein Volk sind, unabhängig aller Unterschiede der Rasse und der Religion, des Glaubens und der Standpunkte. Er sagt uns, dass es die Macht der Hoffnung gibt."

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