Wir helfen, den GA auszutragen Wie im Schlaf von Haus zu Haus

Friesdorf · Arbeiten, wenn andere schlafen: Günter Frings trägt seit knapp 30 Jahren den General-Anzeiger aus. Nacht für Nacht dreht der 74-Jährige in Friesdorf seine Runde. Dabei begegnen ihm zwar wenige Menschen, dafür aber nachtaktive Tiere.

 Günther Frings trägt seit gut 30 Jahren den General-Anzeiger in Friesdorf aus.

Günther Frings trägt seit gut 30 Jahren den General-Anzeiger in Friesdorf aus.

Foto: Andreas Dyck

Irgendetwas piept. Ein hämmernder Ton schlägt auf meinen Schädel ein. Die Digitalanzeige des Weckers strahlt mir 1.45 Uhr entgegen. Das Teil piept nicht nur, es lacht mich aus. Es ist Zeit, aufzustehen. In einer halben Stunde treffe ich Günter Frings. Seit fast 30 Jahren trägt der 74-Jährige Morgen für Morgen (oder besser Nacht für Nacht) den General-Anzeiger aus. Heute werde ich ihn auf seiner Runde in Friesdorf begleiten.

Der Weg zu Frings' Zustellbezirk in Friesdorf führt mich durch das Bonner Zentrum, vorbei an geöffneten Bars, schwankenden Menschen und wartenden Taxis. 2.20 Uhr Arbeitsbeginn fühlt sich an wie ein schläfriger Irrtum, wie einer dieser Träume, in denen man zur Arbeit geht und irgendwann merkt, dass man keine Hose trägt.

Um diese Zeit ist die Welt in der Schwebe: Noch nicht morgen, aber auch nicht mehr gestern. Eine Gruppe Männer mit roten Hüten torkelt über den Bertha-von-Suttner-Platz - "Burschenschafter" nehme ich an. Sie sehen nicht aus, als wären sie auf dem Heimweg. Als ich den Treffpunkt erreiche, den ich mit Frings ausgemacht habe, wartet er bereits vor seinem dunklen Kombi. Blauer Wollpullover und Schirmmütze - wie ein Schiffskapitän an der Reling steht er an der Motorhaube seines Autos und hält Ausschau. "Gut geschlafen?", fragt er zur Begrüßung in schönstem rheinischen Singsang und lacht. Frings ist so früh schon gut drauf. Ich hingegen prüfe vorsichtshalber, ob ich wirklich eine Hose anhabe.

Die Zeitungen kommen heute Morgen pünktlich - zum Glück. Wenn sich der Druck verzögert, kann es schon vorkommen, dass Frings hier eine Stunde steht, bevor er überhaupt loslegen kann.

Dann fangen wir an. Mit einem Stapel der nach frischer Druckerfarbe riechenden GA-Ausgaben auf dem Arm ziehen wir los, von Briefkasten zu Briefkasten. Die Sommernacht ist angenehm frisch und zum Glück trocken. In den knapp 30 Jahren hat der heute 74-Jährige an Wetter so ziemlich alles erlebt: "Schnee, Glatteis - da war alles dabei. Gott sei dank ist nie etwas passiert. Außer dass ich klatschnass geworden bin." 28 Jahre lang war Frings bei der Universität Bonn als Werkstattleiter im Botanischen Garten beschäftigt. Schon bevor er mit 60 pensioniert wurde, hat er parallel dazu den GA ausgetragen.

"Fest steht: Jung geheiratet, zwei Kinder, ein Haus am Hals, das ich noch ausbauen musste - da brauchte man Geld." Heute denkt er beim Austragen auch an die eigene Gesundheit. "Mein Arzt sagt: Mach es solange wie möglich", so Frings. "Sieben Kilometer laufe ich jeden Morgen, noch vor dem Frühstück." Das hat er im Internet nachgeschaut. Dass das Internet irgendwann einmal seinen Job überflüssig machen könnte, glaubt er allerdings nicht. "Die Zeitung muss man doch in der Hand halten", sagt er.

An einem Haus geht Frings über die lange Einfahrt bis fast hinein in den Garten. Ich fühle mich hier im Dunkeln fast wie ein Einbrecher. Wie ein Einbrecher, der Angst hat, jeden Moment zu stolpern. Frings geht auch in die dunkelsten Hauseingänge ohne Taschenlampe. "Die Lampe brauche ich nur bei Neukunden, ansonsten kenne ich die Wege wie im Schlaf", so Frings.

Als Frings zu einem anderen Grundstück das Gartentor öffnet, schreckt er zwei Katzen auf, die wiederum mich fast zu Tode erschrecken, als sie davonflitzen.

„Ich muss immer wieder die Frauen bewundern, die das machen.“

"Ach, Sie bekommen nachts schon einiges zu sehen", sagt er. "Da drüben habe ich schon mehrmals Füchse beobachtet, und Marder sehe ich regelmäßig." Hat er nicht manchmal ein mulmiges Gefühl, so alleine in der Nacht? "Es kann schon manchmal ein bisschen komisch sein. Ich bin zwar kein ängstlicher Typ", sagt Frings. Aber manchmal treffe er nachts schon auf "merkwürdige Typen" oder angetrunkene Jugendliche. Er begegnet ihnen stets mit Freundlichkeit. "Ich sag dann 'Guten Morgen, kommt ihr schon nach Hause', dann kommt meist ein freundliches 'Guten Morgen' zurück." Er selbst hat nie schlechte Erfahrungen gemacht.

Trotzdem sagt er: "Ich muss immer wieder die Frauen bewundern, die das machen." Für Notfälle hat Frings immer ein Handy dabei. Und ein paar Mal musste er in den vielen Jahren sogar schon die Polizei oder Feuerwehr rufen. Mal wegen eines freilaufenden Pferdes, wegen eines offenstehenden Autos auf der Straße, diverser Wasserrohrbrüche und einmal sogar wegen brennender Mülltonnen.

Allmählich wird der Himmel etwas heller. Wir sind fast fertig mit der Runde durch Friesdorf. An einer Bäckerei bleibt Frings kurz stehen und klopft an die Scheibe. Drinnen brennt Licht. "Morje Christoph", ruft er dem Bäcker zu und bekommt einen kurzen Gruß zurück. An manchen Tagen wartet seine Frau bereits mit dem Frühstück auf ihn. Dann wird erst gegessen und später noch ein Nickerchen gehalten. Auch ich gehe jetzt heim. Bald geht meine Arbeit in der Redaktion los. Wieder fahre ich über den Bertha-von-Suttner-Platz. Längst torkelt hier niemand mehr, die Menschen gehen jetzt zielstrebig und viel zu schnell. Aber auf mich wartet ein Bett und in meinem Briefkasten: der GA.

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