Der Gott des Gemetzels

Polanskis wuchtiges Psychodrama „Der Gott des Gemetzels“ ist ein Aufgebot der Stars.

 Starten zum Gemetzel: Kate Winslet als Nancy (r.), Jodie Foster als Penelope und Christoph Waltz als Alan.

Starten zum Gemetzel: Kate Winslet als Nancy (r.), Jodie Foster als Penelope und Christoph Waltz als Alan.

Foto: ap

Also gut, zwei elfjährige Jungs haben sich auf dem Spielplatz geprügelt, ein Stock wurde geschwungen, zwei Zähne zersplitterten. Aber die Erwachsenen sind wild entschlossen, diesen Zivilisationsbruch gesittet zu kitten. Klar, dass Nancy und Alan als Eltern des „Täters“ bei Penelope und Michael antanzen – ein Auswärtsspiel auf dem „Opfer“-Territorium.

Penelope hat dafür sündhaft teure Blumen besorgt (und weist nicht nur einmal beflissen darauf hin), es gibt Kuchen, doch auf dem mit Höflichkeiten gebohnerten Parkett gleitet der Friedensgipfel allmählich in Richtung offene Feldschlacht. Klar, Worte wie „bewaffnet und „entstellt“ gefallen dem gewieften Anwalt Alan nicht sonderlich, zumal er eigentlich per Handy lautstark damit beschäftigt ist, einen virulenten Pharmaskandal mit juristischen Tricks einzudämmen.

Alan glaubt anders als die penetrant „mitmenschliche“ Penelope an den „Gott des Gemetzels“, der in Yasmina Rezas gleichnamigem Theaterstück genial an den Eskalationsstrippen zieht. Reza legt Worte auf die Goldwaage, so dass man das falsche Gewicht ziemlich rasch bemerkt: den versteckten Angriff in der Beschwichtigungsformel, die Selbstgefälligkeit im Schuldbekenntnis, die Angeberei in der etwas zu forcierten Bescheidenheit.

Roman Polanski ist seit „Der Tod und das Mädchen“ in effektvoll-konzentrierter Theater-Verfilmung geübt. Für diese Sinfonie der falschen Töne kann er nun ein glänzend gestimmtes Kammer-Ensemble aufbieten: Jodie Foster lässt Penelopes Hysterie durch die stets zum Zerreißen gespannte Gesichtshaut schimmern und tarnt maßlose Egozentrik eher unzulänglich hinter ihrer Sympathie für möglichst weit entfernte Unterdrückte. Ihr Gatte Michael wird derweil von John C. Reilly als trügerisch gemütlicher Brummbär gespielt, der dann plötzlich doch mit nie geahnter Vehemenz die Jähzorn-Tatze niedersausen lässt.

Auch die Gegenseite lässt sich nicht lumpen: Kate Winslet ist als Nancy ebenso stramm ins Business-Kostüm wie ins Contenance-Korsett gepresst. Doch mit dem ersten Schluck Alkohol reißt der Stoff: Pöbelei folgt auf Pingeligkeit, und der Mageninhalt ergießt sich ausgerechnet auf Penelopes „heilige“ Kunstkataloge („der Kokoschka!!!“).

Und dann Christoph Waltz! Gönnerhaft gibt er dem Güteterminchen die Ehre seiner Advokatenbrillanz. Professionell läuft er hier gewissermaßen im Leerlauf, kann das Gaspedal aber bei Bedarf sehr schnell boshaft ins Bodenblech treten. Nur wenn dann irgendwann seine elektronische Nabelschnur zur Wichtigtuer-Welt reißt, wenn also das Smartphone ins dumme Tulpenwasser plumpst, steht er plötzlich wehrlos da: „Da ist mein ganzes Leben drin!“

Polanski zeigt all dies mit makellosem Timing, köstlicher Süffisanz und psychologischer Tiefenschärfe. Er zoomt uns mit Nahaufnahmen geschickt in dieses verbale Massaker.

Hier geht es ja nicht nur pauschal um abplatzende Kulturtünche und bröckelnde Charaktermasken. Sondern auch um unvorhersehbare Frontwechsel: Ein Whisky verbrüdert kurzfristig die verfeindeten Herren, und mehrfach scheint der tiefste Riss gar nicht mehr durch die Streitparteien, sondern durch die beiden Ehen zu gehen.

Zwangsläufig ertappt man sich auch als Zuschauer dabei, seine Sympathiefiguren immer mal wieder zu „verraten“. Und gelegentlich lacht man mit schlechtem Gewissen, denn in den Atempausen des Schlagabtauschs scheint auch die Trostlosigkeit ausgeleierter Beziehungen auf.

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