Medienbildung als Netzwerk-Aufgabe

In den Schullehrplänen fehlen konkrete Empfehlungen. An der Europaschule Bornheim läuft jetzt ein Modell-Projekt.

Bornheim. Für die Europäische Kommission ist der Fall klar. "Medienkompetenz ist ein wichtiger Faktor für ein aktives Bürgerengagement in der heutigen Informationsgesellschaft", heißt es in einem Grundsatzpapier aus dem Jahre 2009. Die EU empfiehlt deshalb ihren Mitgliedstaaten, Medienerziehung "in die schulischen Pflichtlehrpläne sowie in die Liste der Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen" aufzunehmen.

Doch genau damit sieht es in Deutschland mau aus, wie jüngst eine von der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein in Auftrag gegebene Untersuchung ergab. Zwar existierten in allen Bundesländern Vorgaben zur Förderung von Medienkompetenz, aber es fehle an konkreten Hinweisen, wann und wie sie umgesetzt werden sollen, so die Experten. Eine Verbindlichkeit sei ebenso wenig gegeben wie eine Kontrolle, inwieweit Schüler tatsächlich ein Mindestmaß an Medienkompetenz erreicht hätten. Auch von einer "medienpädagogischen Grundbildung in der Lehrerausbildung" könne keine Rede sein.

Meinung Lesen Sie dazu auch das Interview " Rudolf Kammerl: Medienbildung wird in Lehrplänen vernachlässigt"In deutschen Unterrichts-Lehrplänen werden seit Jahren hehre Ziele formuliert, was die Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn an Kompetenzen in Sachen Computer und Internet mitbringen sollen, aber konkrete Handlungsanweisungen zur Umsetzung sind damit nicht verbunden. Über ein eigenes Schulfach „Medienbildung“ wird seit Jahren diskutiert, politische Mehrheiten dafür sind allerdings nicht in Sicht.

Abgesehen davon mangelt es den Städten und Gemeinden, den wichtigsten Schulträgern, meist an den finanziellen Mitteln, um überhaupt für die notwendige Medien-Ausstattung und ihre Unterhaltung zu sorgen. Schon aus diesem Grund fordern die meisten Bildungspolitiker eine allgemeine, fächerübergreifende Vermittlung des Wissens über digitale Medien und ihre Anwendung. Denn: Verbindlichkeit schafft Verantwortlichkeit. Und die wollen sich offenbar nur die wenigsten aufbürden.

So wird das Problem auf die unterste Ebene verlagert: die Schulen selbst. Sie müssen sich selbst organisieren und entsprechende Partner finden. Am liebsten aus der freien Wirtschaft. Einer dieser Partner ist die Deutsche Telekom Stiftung in Bonn, deren Vorsitzender Ex-Außenminister Klaus Kinkel ist. Sie rief 2005 das Projekt „Schule interaktiv“ ins Leben, das in diesem Sommer endet. Mit zunächst vier, später 19 Modellschulen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Sachsen.

Ziel war die Schulentwicklung auf allen Ebenen: Organisation, Personal, Unterricht. „Es war keineswegs ein Schul-Ausstattungsprojekt“, betont Stiftungs-Geschäftsführer Ekkehard Winter. „Am Anfang stand ein umfassendes medienpädagogisches Konzept der jeweiligen Schule, auf dessen Basis später die Mittel für die Hardware-Anschaffung zur Verfügung gestellt wurden“, sagt Winter. Drei Millionen Euro ließ sich die Telekom-Stiftung das gesamte Projekt unter wissenschaftlicher Begleitung der Technischen Universität Darmstadt kosten.

Eine dieser Pilotschulen der ersten Stunde ist die Europaschule in Bornheim. Und die ist sich ihrer Leuchtturm-Funktion durchaus bewusst. „Ehe wir Partner der Stiftung wurden, waren wir mit einem Handkarren unterwegs, jetzt fühlen wir uns wie in einem Porsche“, sagt Schulleiter Christoph Becker. Sechs Jahre Entwicklungsarbeit mündeten in einem umfassenden Medienkonzept, das alle Fächer und Jahrgangsstufen umfasst. „Wenn die Schüler der 7. Klasse zum Beispiel mittels einer PC-Präsentation ein Thema in Erdkunde vorstellen, dann geht es nicht nur um das Thema, sondern auch um die Präsentationstechnik“, erläutert Becker. Ob Textverarbeitung, Internetsicherheit, Internetrecherche oder Tabellenkalkulation, die Schüler erwerben in allen Bereichen am Ende Teilnahme-Zertifikate. „Unser Ziel ist eine garantierte Grundbildung im IT-Bereich für jeden Schüler, der die 10. Klasse abgeschlossen hat“, so Becker.

Damit auch andere Schulen von diesem Knowhow profitieren können, findet ein Wissens-Transfer statt. „Wir wollen ein Netzwerk schaffen und dadurch neue Multiplikatoren gewinnen“, sagt Jutta Heimann-Feldhoff, die Projektverantwortliche an der Europaschule. Seit zwei Jahren arbeiten die Bornheimer mit sechs Partnerschulen im Rhein-Sieg-Kreis zusammen. Im neuen Schuljahr sollen sechs weitere hinzu kommen. Ausschreibung und Bewerbung dafür läuft über die Medienberater der kommunalen „Kompetenzteams“ der Städte und Kreise. Der Ansatz dieser Kompetenzteams: Lehrer bilden andere Lehrer fort. „Wir wollen auf diese Weise das Konzept weiter ausrollen“, hofft Heimann-Feldhoff.

Während die Europaschule mit rund 300 vernetzten PCs arbeitet, um die sich ein fest angestellter System-Administrator kümmert, sind es in der Gesamtschule Beuel sogar über 400. „Geld für IT-Experten haben wir nicht mehr, seit wir unbesetzte Lehrerstellen nicht mehr kapitalisieren können“, sagt der kommissarische Schulleiter Stefan Ludwig. So ist Eigeninitiative gefordert. Und der Förderverein. In Beuel arbeitet man derzeit an einem Medienkonzept für den Unterricht, das auf den Erwerb von Medien- und Internet-„Führerscheinen“ abzielt.

Ähnlich gelagert ist der Fall im Bonner Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Dort läuft in Sachen Hardware nichts ohne das Engagement vieler Lehrkräfte und auch Eltern. „Zum Glück haben wir wir einen sehr aktiven Förderverein“, freut sich Schulleiter Uwe Bettscheider. Ein Medienkonzept ist in Arbeit – aber es hakt an der professionellen Infrastruktur um es umzusetzen. Wie an vielen anderen Schulen auch.

Aufschlüsse über den gegenwärtigen Stellenwert von Medien im schulischen Alltag liefert möglicherweise eine Forschungsarbeit, die das NRW-Schulministerium derzeit gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien (LfM) NRW durchführt. Daraus, so Dörte Hein von der LfM, sollen „konkrete Handlungsempfehlungen für eine Optimierung der Medienkompetenzförderung in der Schule“ abgeleitet werden. Die Ergebnisse sollen im Juli vorliegen.

Landtagspolitiker zum ThemaWie sollte Medienkompetenz in der Schule vermittelt werden - mit einem eigenen Unterrichtsfach oder als Querschnittsaufgabe durch alle Fächer? Der GA befragte medienpolitische Sprecher der im NRW-Landtag vertretenen Parteien. Fazit: Nur die Grünen plädieren für ein eigenes Fach.

Thorsten Schick (CDU): "Ich halte ein eigenständiges Fach nicht für sinnvoll. Schon heute haben Schüler das Problem, den gesamten Unterrichtsstoff zu lernen. Sinnvoller erscheint mir, das Thema in den Unterricht einzubetten. Die Fächer Deutsch oder Sozialwissenschaften bieten Möglichkeiten, Medienkompetenz zu vermitteln, ohne die Stundentafel auszuweiten."

Marc Jan Eumann (SPD): "Verbindliche Standards und klar geregelte medienpädagogische Inhalte in den Lehrplänen müssen Schülern, Eltern und Lehrern einen sicheren Handlungsrahmen geben. Die Einführung eines altersgemäßen Medienkompetenzführerscheins in allen Schulformen unterstützt dieses Ziel. Ähnlich wie ein Schwimmpass soll er die altersgemäße Vermittlung notwendiger Kenntnisse und Kompetenzen nachweisen."

Ralf Witzel (FDP): "Wir setzen uns dafür ein, dass der Schulunterricht verstärkt dem Erwerb von Medien- und Internetkompetenz Rechnung trägt. Ein eigenständiges Unterrichtsfach nur zum Medienumgang ist allerdings nicht geboten. Medien sind eine Querschnittsaufgabe für verschiedene Fächer. Der Stundenplan läßt es ferner nicht zu, für alle gesellschaftlichen Herausforderungen immer gleich neue Fächer einzuführen."

Oliver Keymis (Grüne): "Das Fach Medienkompetenz gehört in alle Schulformen. Wir brauchen Anleitungen, kritische Diskurse und verlässliche Kriterien, um uns in der Informationsflut der digitalen Informations- und Wissensgesellschaft auch künftig sinnvoll zurecht zu finden. Dafür müssen natürlich die technischen Voraussetzungen in den Schulen ebenso gegeben sein, wie es eigens geschulte Pädagoginnen und Pädagogen geben muss."

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