"Jede Familie in Deutschland hat in der Küche einen Terminkalender"

BONN · Olena Shevchyk kommt aus der Ukraine. Nach ihrem Linguistik-Studium hat sie schon als Au-pair in Bonn gearbeitet. Zurzeit ist sie Volunteer in Bonn - und amüsiert sich über die deutsche "Termin-Wut".

 Auch wenn es nicht so aussieht: Olena Shevchyk ist in Bonn.

Auch wenn es nicht so aussieht: Olena Shevchyk ist in Bonn.

Foto: privat

Ich erinnere mich an den Tag, als ich mich dazu entschied, nach Deutschland zu fahren. Ich hatte eine nette Familie im Internet gefunden. Es war gar nicht so kompliziert wie heutzutage. Und schon wenig später war ich in Deutschland - im Land der Modernität und des Fortschritts. Zum Glück hatte ich zu dieser Zeit genug Deutschkenntnisse, weil ich die deutsche Sprache an der Universität in der Ukraine studiert habe.

Ich verbringe auch in meiner Heimat gerne viel Zeit mit Kindern, deshalb fand ich es sehr spannend, Au-pair Mädchen zu sein. Die Familie, bei der ich als Au-pair arbeitete, war total nett und tolerant. Ich fühlte mich wirklich wie zu Hause. Die Kinder waren sehr lieb und wohl erzogen. Wir pflegen Kontakte bis heute. Was mir als erstes aufgefallen ist, ist die Hilfsbereitschaft alle Menschen in diesem Land.

Bonn ist eine ruhige und wunderbare internationale Stadt, wo man die Menschen aus aller Welt trifft. Vielleicht das macht Bonn so anziehend. Jeder bringt etwas Besonderes aus seiner Heimat mit.

Aber natürlich manche Sachen waren für mich komisch. Wie zum Beispiel „Termin“ - ein untrennbarer Teil des deutschen Wortschatzes für jeden Tag. Und ich glaube, jede Familie hat in der Küche ein Familienkalender, und ich finde es lustig. Auch Ausländer haben nach einigen Jahren in Deutschland diesen guten „Freund“ in der Küche.

Aber was erstaunlich ist, man muss Termine mit den Freunden und sogar mit den Verwandten vereinbaren. Wenn die Eltern der Gastfamilie uns besuchen wollten, mussten sie anrufen und einen Termin ausmachen. Es ist unglaublich. Bei uns in der Ukraine kann man jede Zeit einander besuchen, ohne vorher Bescheid zu sagen. Auch mit den Freunden braucht man kein Termin zu vereinbaren, alles läuft spontan.

Termine bestimmen den Tag

In meiner Heimat ist es einfacher im Umgang mit den Menschen. Man lebt in Deutschland nach den Terminen, das ist schon die Abhängigkeit. So verliert man Einfachheit und Natürlichkeit. Was ich noch bemerkt habe: Die Menschen hier sind materialistisch. In unserer Zeit ist es selbstverständlich, dass sich alles um Geld dreht. In meiner Heimat ist es noch anders.

Was ebenfalls unterschiedlich ist: Wenn jemand in der Ukraine zu dir kommt, muss man nichtzwangsläufig etwas unternehmen, ins Kino oder Disco gehen oder irgendwelche andere Aktivitäten ausüben. Man kann einfach den ganzen Nachmittag Tee trinken und reden, reden, reden… Einfach, nicht wahr?

Und jetzt haben wir die Weihnachtszeit, eine schöne Gelegenheit, jemanden zu besuchen, auch „ohne Termin“. In Deutschland ist alles wie in einem Märchen,so prachtvoll und herrlich. Der Weihnachtsmarkt mit den Bergen von Süßigkeiten, der Duft aus allen Häuschen und viele fröhliche Gesichter!

Ich hatte schon eine wunderbare Möglichkeit gehabt, Weihnachten in Bonn zu feiern. In der Ukraine haben wir keine Adventszeit, und wir feiern Weihnachten am 7. Januar. Ich wünsche allen viel Inspiration und viel Liebe, wenn ich den Leuten ein frohes Fest wünsche.

Über Bier, Brot und Brötchen, Bratwurst, Pünktlichkeit und die Qualität in Deutschland habe ich nichts zu sagen, das weiß jeder Mensch auf der Erde. Ich habe meine eigenen Entdeckungen in diesem tollen Land gemacht, dem Land der Ideen und der Freiheit.

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