Nach der Bundestagswahl Ein brisantes Telefonat

BERLIN · "Wir werden an dem gemessen, was im Wahlkampf gesagt worden ist. Das ist unfair." Diese - ironisch gemeinte - Klage des früheren SPD-Vorsitzenden und zeitweiligen Vize-Kanzlers der großen Koalition, Franz Müntefering, soll im Adenauer-Haus am Freitag eine erhebliche Rolle gespielt haben.

 Unklarer Steuerkurs: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Unklarer Steuerkurs: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.

Foto: dpa

Auslöser der Erinnerung: angeblich konkrete Pläne der CDU-Spitze, die Steuern für Spitzenverdiener kräftig anzuheben. Monatelang hatte man Wahlkampf mit einem Programm bestritten, in dem es wörtlich hieß: "Wir wollen die Leistungsträger in der Mitte unserer Gesellschaft nicht mit Steuererhöhungen für ihre Anstrengungen und tägliche Arbeit bestrafen, sondern sie entlasten." Und davon, so meldete Deutschlands auflagenstärkstes Boulevardblatt, solle nichts mehr übrig sein.

Tatsächlich hatte es offensichtlich ein Telefonat des CDU-Generalsekretärs Hermann Gröhe mit Vertretern des CDU-Wirtschaftsflügels gegeben. Dabei soll der enge Vertraute der Parteivorsitzenden gesagt haben, es werde bei den zu erwartenden Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition darauf hinauslaufen, den Spitzensteuersatz (derzeit 45 Prozent) um zwei, drei oder vier Prozentpunkte anzuheben.

Zuvor hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine solche Möglichkeit zumindest nicht ausgeschlossen. Er hat in einem ZEIT-Interview allerdings auch hinzugefügt: "Ich persönlich bin der Meinung, dass der Staat keine zusätzlichen Einnahmequellen benötigt."

Schäuble wollte vor allem deutlich machen, dass man ohne Tabus an die anstehenden Bündnisgespräche gehe. Gleichwohl, die Debatte dient einem Zweck: Die SPD mit verlockend klingenden Angeboten an den Verhandlungstisch zu locken. Denn die bisherige Oppositionspartei hat die Erhöhung der Spitzensteuer zu einer wesentlichen Wahlkampf-Forderung gemacht, um unausweichliche Infrastrukturprojekte besser finanzieren zu können. Ziel sei maximal eine 49-Prozent-Belastung, so die SPD.

Die alarmiert wirkende CDU debattierte am Donnerstag den vermeintlichen Meinungsschwenk so, als ob der höhere Spitzensteuersatz schnell Realität werden könnte. Weitere Befürworter für Steuererhöhungen meldeten sich: So der Haushaltsexperte der Unionsfraktion, Norbert Barthle. Er will eine moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes durchsetzen. Mit dem Erlös will er Entlastungen für kleinere Einkommen finanzieren. Er plädiert also im Prinzip für eine Umverteilung von oben nach unten. Die Chance, dass durch eine Steuerreform Probleme mit der Progression (z. B. der sogenannte Mittelstandsbauch) gelöst werden können, könnte für die SPD durchaus interessant sein.

[kein Linktext vorhanden]Während man in der CDU "Kommunikationsprobleme" für die überraschende Steuerdebatte verantwortlich machte und empfahl, den ganzen Vorgang "tiefer zu hängen", kam von der Schwesternpartei in München eine klare Ansage: Es sei "unverantwortlich", so Bayerns CSU-Chef Horst Seehofer, dass die Union eine Debatte über Steuererhöhungen überhaupt zugelassen habe. Andere CDU-Spitzenpolitiker sprachen in Interviews von einer "Dummheit", die im Adenauer-Haus begangen wurde. Der Staat habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

Ein nicht unwichtiger Aspekt: Die SPD ließ durchblicken, dass sie im Fall einer großen Koalition nicht nur Wert auf gleichviel Ministerien wie die Union, sondern auch auf das Finanzministerium legen würde. So der Vorsitzende des konservativen und innerparteilich einflussreichen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. Er weiß genau, dass Kanzlerin Angela Merkel dem Herrn der Steuern, Schäuble, niemals den finanzpolitischen Laufpass geben würde. "Wir wollen keine große Koalition. Wir empfehlen die Grünen als Koalitionspartner", sagte Kahrs der "Passauer Neuen Presse". "Wenn die Union dennoch mit uns etwas anfangen möchte, muss sie zur Kenntnis nehmen: Es geht nur mit Verhandlungen auf Augenhöhe."

Die Personalforderung von Kahrs richte sich vor allem an die "innerparteiliche Seele", hört man im Willy-Brandt-Haus. Schließlich wollen die 200 Delegierten, die heute Abend um 18 Uhr in der SPD-Parteizentrale zu einem kleinen nicht presseöffentlichen Parteitag zusammenkommen, den Eindruck erhalten, man habe die Trauben für die Zustimmung zu einer großen Koalition auf Bundesebene besonders hoch gehängt.

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