Ausbeutung im Modegeschäft Die Kehrseite der Schnäppchen - Ein Wissenschaftler berichtete in Bonn

BONN · Ein Wissenschaftler aus Bangladesch berichtete in Bonn über die Ausbeutung der Näherinnen, die günstige Kleidung für den deutschen Markt herstellen.

Für den Käufer in Deutschland ist es schlicht ein Schnäppchen. Das T-Shirt beim Discounter kostet knapp fünf Euro. Khorshed Alam aus Bangladesch kennt auch die Kehrseite der Billigware. Der Politikwissenschaftler und Menschenrechtler hat die Arbeitsbedingungen der Näherinnen in seiner Heimat untersucht. Auf Einladung der Kampagne für Saubere Kleidung (siehe Kasten) stellte er am Montag Abend in Bonn seine neuen Forschungsergebnisse vor. 162 Arbeiterinnen aus Fabriken in Bangladesch, die unter anderem Aldi, Lidl und Kik beliefern, hat Alam nach eigenen Angaben befragt.

Das Bild, das der Politikwissenschaftler aus seiner Heimat zeichnet ist düster - trotz des wachsenden Interesses an den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. "An der Lage der Näherinnen hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert", lautet sein Fazit. Von den fünf Euro Ladenpreis für ein Billig-T-Shirt in Deutschland erhielten die Arbeiterinnen in Südasien maximal 15 Cent.

Das Hauptproblem seien die niedrigen Löhne in Bangladesch, sagte Alam. Der gesetzliche Mindestlohn liege bei umgerechnet 30 Euro im Monat. "Davon kann jedoch niemand leben", so der Direktor der Menschenrechtsorganisation AMRF in Bangladesch. Eine vierköpfige Familie brauche mindestens umgerechnet 100 Euro im Monat.

So niedrig der Lohn, so hoch sind die Anforderungen in den Zuliefer-Betrieben für die deutschen Billigketten: Arbeitstage von mehr als zehn Stunden, mangelhafte Arbeitsschutz, Verbot von gewerkschaftlicher Organisation bis hin zu Beschimpfungen und körperlicher Gewalt gehörten in vielen der rund 4.000 Textilbetriebe in Bangladesch zum Alltag, so Alam. Zwar schrieben viele westliche Abnehmer der Billig-Kleidung mittlerweile Überprüfungen der Nähereien auf Mindest-Sozialstandards (Auditierung) vor. "Das ist aber reine Imagepflege", urteilt er. Die Prüfer bekämen eigens aufgeräumte Fabriken zu sehen. Kaum eine Näherin wage es, den Besuchern die Wahrheit über ihre Arbeitsbedingungen zu erzählen.

Bangladesch gehört zu den wichtigsten Lieferanten für Textilien und Bekleidung in Deutschland. Mit Einfuhren im Wert von 2,3 Milliarden Euro stand das Land 2010 nach Angaben des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie auf Platz drei hinter China (9,8 Milliarden Euro) und der Türkei (3,8 Milliarden Euro).

Während die Löhne in den chinesischen Nähereien jedoch in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen seien, würden viele Näherinnen in Bangladesch weiter ausgebeutet, sagte Gisela Burckhardt von der Kampagne Saubere Kleidung. Eine Ursache sei das schlechte Bildungsniveau. "Die meisten Näherinnen können weder lesen noch schreiben", sagte sie. "Das macht es für sie besonders schwer, für ihre Rechte zu kämpfen."

Burckhardt kritisiert vor allem die Haltung der Discounter-Kette Aldi, die als Anbieter von Mode und Textilien in Deutschland längst viele Bekleidungshäuser überholt hat. "Mit Lidl und Kik führen wir regelmäßig Gespräche über ihre Zulieferer in Bangladesch", sagte sie. Aldi dagegen verweigere den Dialog. Dem General-Anzeiger teilte Aldi auf Anfrage mit, die Studie der Kampagne für Saubere Kleidung liege der Unternehmensgruppe Aldi Süd vor.

Weiter heißt es: "Da die in der Untersuchung veröffentlichten Ergebnisse anonymisiert sind, ist es uns nicht möglich nachzuvollziehen, ob in den genannten Produktionsstätten tatsächlich Waren für Aldi Süd produziert wurden." Das Fazit der Billigkette: "Aus diesem Grund ist eine weitergehende Prüfung der Arbeitsbedingungen unsererseits leider nicht möglich."

Aldi verweist außerdem auf eigene Überprüfungen von Zulieferern und seine Mitgliedschaft in der "Business Social Compliance Initiative" (BSCI), einem Zusammenschluss von Unternehmen, die sich sozialen Werten verpflichten. Aldi-Kritikerin Burckhardt hält davon wenig: "Die Unternehmen kontrollieren sich selbst. Sinnvoller wäre es, Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen einzubeziehen."

Die deutsche Mode-Branche betont dagegen ihren begrenzten Einfluss auf Zulieferer im Ausland. "Die oft geforderte Erhöhung der Vergütung ist es eben nicht, denn dann muss man ja den dortigen Unternehmer auch dazu zwingen, diese Erhöhung seinen Mitarbeitern weiter zu reichen", so Thomas Rasch, Hauptgeschäftsführer des Modeverbands Deutschland mit Sitz in Köln.

Trotz der Missstände in den Nähereien - zum Boykott der Billig-Klamotten will die Kampagne Saubere Kleidung nicht aufrufen. "Die Näherinnen sind auf ihren Verdienst angewiesen", sagte Burckhardt. Sie empfiehlt Kunden jedoch, beim Einkauf von Kleidung ausdrücklich nach den Produktionsbedingungen zu fragen.

Der Preis sei nicht immer ein Indiz, für gute oder schlechte Arbeitsbedingungen in den Nähereien. So prüfe die Kampagne auch große Markenhersteller wie Adidas und Puma. Viele deutsche Textilunternehmen versuchten über medizinische Angebote für die Näherinnen oder Weiterbildung der Manager in Bangladesch Einfluss auf die Arbeitsbedingungen zu nehmen. "Der öffentliche Druck steigt, bei vielen Firmen wird das Thema mittlerweile Ernst genommen", hat Burckhardt festgestellt.

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