Salafisten in Bonn Rat der Muslime sieht sich als Opfer einer Kampagne

BONN · So greifbar, so nah war die Bedrohung für die Bonner Bürger noch nie: Sprengstoffexperten entschärften am 10. Dezember am Bonner Hauptbahnhof eine Bombe. Und vieles deutete daraufhin, dass muslimische Extremisten einen Anschlag mit verheerender Wirkung geplant hatten, wie die Ermittler bald darauf bekanntgaben. Bonn, so scheint es, war nur knapp einer Katastrophe entgangen.

Lannesdorf, am 5. Mai 2012: Abu Abdullah von "der Wahren Religion" spricht, Moussa Acharki vom Bonner Rat der Muslime und von der BIG-Partei hört zu, wie diese Aufnahme eines Videos einer islamistischen Seite belegt.

Lannesdorf, am 5. Mai 2012: Abu Abdullah von "der Wahren Religion" spricht, Moussa Acharki vom Bonner Rat der Muslime und von der BIG-Partei hört zu, wie diese Aufnahme eines Videos einer islamistischen Seite belegt.

Foto: Screenshot

Vor diesem Hintergrund mutet eine aktuelle Erklärung des Bonner Rates der Muslime (RMB) befremdlich an. Scharfe Kritik übt der Zusammenschluss von Bonner Moscheen darin an Polizeibehörden und Medien. Ihnen werfen sie vor, einen "Generalverdacht zum Nachteil der Muslime" zu bedienen und Muslime zu stigmatisieren.

Den versuchten Anschlag bezeichnet der RMB gar als "Bahnhofsbombenparodie", die Berichterstattung darüber als "mediale Panikmache". In Bonn, so heißt es, gebe es einen "antiislamischen Diskurs", der "unter der ehemaligen Oberbürgermeisterin Dieckmann auf die Spitze getrieben wurde".

Nach Informationen des General-Anzeigers soll es auch innerhalb des RMB Kontroversen zur Haltung gegenüber radikalen Islamisten geben. Der Sprecher des Rates, Selim Yesilyurt, verteidigte die Erklärung gegenüber dem GA am Freitag als nicht für die Medien bestimmt - obwohl sie im Internet zu lesen ist und prompt auch auf einschlägigen radikalen Seiten veröffentlicht wurde.

So beispielsweise ausgerechnet von der Vereinigung "Die wahre Religion", die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und aufs Engste mit Extremisten zusammenarbeitet. Bekanntheit hat "Die wahre Religion" erlangt, weil sie seit vorigem Jahr in Deutschland, Österreich und der Schweiz Korane verteilt. Heute sollen auch in Bad Godesberg wieder Korane unter die Leute gebracht werden.

[kein Linktext vorhanden]Vertreter der "Wahren Religion" gelten als Drahtzieher der gewalttätigen Ausschreitungen von Salafisten am 5. Mai 2012 in Lannesdorf. Eigentlich wollte dort der Rat der Muslime, in dessen Reihen auch Mitglieder der Bonner Stadtratsfraktion des Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) aktiv sind, gegen eine islamfeindliche Aktion der rechtsextremistischen Partei Pro NRW demonstrieren: "Der Rat der Muslime hatte die Gegendemonstration zu spät für die Bonner Innenstadt angemeldet, deshalb sind wir nach Lannesdorf ausgewichen", sagte Moussa Acharki, Mitglied beim RMB und auch bei BIG.

Doch welche Rolle spielten RMB und BIG bei den Ausschreitungen in Lannesdorf? Diese Frage hat nun das BIG selbst in Form einer Großen Anfrage im städtischen Integrationsrat auf die Tagesordnung gebracht. Offenkundig geht es den Urhebern darum, dem Rat der Muslime offiziell Distanz zu den Randalierern bescheinigen zu lassen, die sich an jenem Tag eine stundenlange Straßenschlacht mit der Polizei geliefert haben.

Unterschwellig enthält die Anfrage zudem den Verdacht, in der Bonner Polizei gebe es einen Nährboden für Islamfeindlichkeit. RMB und BIG möchten vom Integrationsrat wissen, wie die Polizei das Verhalten des Rats der Muslime und der Bonner Imame im Rahmen der Gewalttaten bewertet, und wie sich deren Verhalten während der Kundgebung vor der König-Fahd-Akademie in Video- und Tonauswertungen widerspiegelt. Zudem fragen sie: "Welche Gefahr besteht für die Entstehung von Islamfeindlichkeit innerhalb der Bonner Polizei?"

Beantworten soll diese Fragen nach dem Willen des BIG die Bonner Polizei selbst. Zur Begründung der Anfrage heißt es: "Das Verhalten des RMB bei der Gegendemonstration wird vereinzelt kritisiert. Um bestehende Missverständnisse und Vorurteile gegenüber dem RMB und Bonner Muslimen auszuräumen wird die Polizei gebeten, das Verhalten aus ihrer Sicht darzustellen."

Aber auch BIG und RMB müssen sich seit dem 5. Mai Fragen gefallen lassen. So hatten die Organisatoren an ihrer Gegendemonstration festgehalten, obwohl sich Tage zuvor in einschlägigen Internetforen die Hinweise auf geplante Gewaltexzesse verdichteten. Als die ersten Steine und Zaunlatten auf die Polizisten niedergingen, riefen die Vertreter von RMB und BIG-Partei, unter ihnen auch deren Vorsitzender Haluk Yildiz, sichtlich mitgenommen und mit sich überschlagender Stimme dazu auf, keine Gewalt anzuwenden.

Doch ihre Appelle verhallten wirkungslos. Später rechtfertigte Moussa Acharki die Veranstaltung damit, sie hätten nichts unversucht lassen wollen, um mäßigend auf die Menge einzuwirken. Bis zum Gewaltausbruch hatten die Organisatoren an jenem Tag jedoch nicht den Eindruck erweckt, sich in der Gesellschaft bekannter Islamisten sonderlich unwohl zu fühlen. Als etwa mit dem Bonner Abu Abdullah ein bekannter salafistischer Prediger auf der Rednerbühne seinen Auftritt hatte, da hörte ihm Acharki neben ihm stehend aufmerksam zu. So auch, als Abu Abdullah ausdrücklich davor "warnte", die Mohammed-Karikaturen in Deutschland zuzulassen. Andernfalls werde "ein Übel passieren". Wenig später begann die Straßenschlacht.

Auch der bekennende Islamist Reda Seyam war in Lannesdorf, agierte als Kameramann. Nach Informationen des GA waren die Dreharbeiten von langer Hand geplant: "Sie wollten Bilder haben, wie sie sie nun haben", sagte auch ein Einsatzleiter der Polizei rückblickend. Seyam filmte den Auftritt von Abu Abdullah, der seine Rede mit der als "Hinweis" verkleideten Drohung schloss, deutsche Bürger im Ausland seien in Gefahr.

Sein Mikrofon übergab er an Acharki, der zunächst von der Demonstration abgeraten hatte. Distanz oder Widerspruch zu Abdullahs Auftritt waren nicht zu erkennen. Auch nicht zu den im Publikum geschwenkten schwarzen Fahnen des "Islamischen Staats Irak", die auch von Al-Kaida genutzt werden. Ebenso wenig schien die aktive Rolle von Denis Cuspert zu stören, dem Kopf der inzwischen verbotenen Organisation Millatu-Ibrahim. Cuspert gab per Megafon Anweisungen an die Menge.

Unkenntnis dürfte für die mangelnde Distanz kaum die Ursache sein: So lässt Acharki als Vorstand der Godesberger Al-Ansar-Moschee einen bekennenden Salafisten wie Abu Jamal predigen. Auch Pierre Vogel alias Abu Hamza, eine Ikone der Salafisten, war dort schon zu Gast. An dem Runden Tisch, zu dem Bonns OB Nimptsch wenige Tage nach den Ausschreitungen eingeladen hatte, wurden die Muslimvertreter hinter verschlossenen Türen auch auf den Dunstkreis angesprochen, in dem sie sich am 5. Mai bewegt hatten.

Sie hätten, so erklärten sie Teilnehmern zufolge, nicht gewusst, um wen es sich bei Reda Seyam, Denis Cuspert und Abu Abdullah handelte. Auch solche "Missverständnisse" könnten anlässlich ihrer eigenen Großen Anfrage nun zur Sprache kommen.

Die BIG-Partei
Die 2010 von Muslimen gegründete BIG-Partei ist im Bonner Stadtrat mit zwei Sitzen vertreten. Bei den NRW-Landtagswahlen 2012 erreichte sie 0,1 Prozent. Kritiker werfen ihr unter anderem vor, ein Ableger der türkischen Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Erdogan zu sein, was BIG vehement bestreitet. Ihre Wurzeln hat die BIG-Partei in den Strukturen des Bonner Rates der Muslime, einem Zusammenschluss vieler Moscheevereine, die 2006 ins Leben gerufen wurde.

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