Zeitzeugen Erika Brill-Bachem: "Ich wusste, es musste etwas Schreckliches passiert sein"

BONN · Erika Brill-Bachem überstand den Bombenangriff auf Bonn im Bahnhofsbunker. Gegenüber ga-bonn.de schildert sie ihre Erinnerungen.

Heute sehe ich in Ihrem Bericht vom 18. Oktober 1944 einBild, das in mir alles wach ruft, was ich damals beim Überqueren von derWesselstraße auf den Martinsplatz vor Augen hatte.

Den Angriff hatte ich im Bahnhofsbunker überstanden. Als ichhörte, der Bunker kann verlassen werden, war mein erster Gedanke, Du musst zurMünsterstraße 7, Lotterie Bachem, und sehen, was die Oma Bachem macht. Ist dortalles gut gegangen, was könnte passiert sein?

Sie kam mir gesund und gefasstentgegen und fragte sofort nach meiner Mutter. Diese arbeitete nämlich imKriegs-Schädenamt in der alten Kirchen-Anlage in der Lenne-Strasse. Ich stürztesofort weiter. Irgendeine Stimme aus der Nachbarschaft rief mir noch nach, ichsollte mich auf dem Stadtamt, Bottlerplatz erkundigen. Dort gingen alleNachrichten von Vermissten ein.

Ich lief den Bogen zu der Auskunftsstelle undreihte mich in die Wartenden ein. Ich muss sehr aufgeregt gewesen ein; essprach mich nämlich eine Dame an, wen ich suche. Sie gab zu, mich zu kennen,und als ich den Namen und die Adresse meiner Mutter angab, gab sie zu, ihr indem schmalen Eingangsgang gegenübergestanden oder -gesessen zu haben. IhreReihe sei unverletzt ins Freie gelangt; von den Gegenübersitzenden wusste sienichts Genaues. Sie und die anderen Geretteten wären mit Blut bis auf die Hautbespritzt gewesen.

Deshalb stünde sie auch jetzt erst hier um Angaben zumachen, sie musste zuerst nach Hause laufen, um sich zu waschen und umzuziehen.Ich wusste eigentlich von diesem Augenblick an, es musste etwas ganzSchreckliches passiert sein. Ich rannte dann weiter über den Münsterplatz inRichtung Universität. Furchtbare Rauchwolken kamen mir entgegen. Der Blick nachlinks zu "Am Hof" war nur Feuersbrunst und geradeaus "AmNeutor" sagte mir gleich, da kommst Du nicht mehr durch. Flammen undRauch.

Ich wollte nichts riskieren und lief weiter auf Umwegen zurPoppelsdorfer-Allee in Richtung Poppelsdorf. Dort wohnten wir in derBlumenstraße. Ich wollte mich auf jeden Fall informieren, oh ich hier einLebenszeichen meiner Mutter vorfinde. Die Damen Ermann, denen das Haus gehörte,kamen mir gleich entgegen, nahmen mich in den Arm, um mich zu trösten.

Keine Nachricht. Ich suchte unsere Wohnung auf. EinBlumentopf war von der Fensterbank gefallen. Ich schnappte mir die wichtigstenPapiere,

Geld und den wärmsten Mantel meiner Mutter und zurück aufden Weg zur Münsterstraße. Aber auch hier herrschten Sorge und Angst; keinerleiNachrichten. Was war passiert.

Verhängnisvoll war natürlich eine Anweisung der Büroleitung.Es war allerhöchste Pflicht, bei Alarm die Schreibmaschinen in denLuftschutzkeller zu transportieren. Meine Mutter hatte mir bei einem Besucheinmal d den Weg gezeigt, durch das alte marode Gemäuer, den engen Eingang nachunten. Sie machte damals den Ausspruch "wenn wir hier erwischt werden,kommt keiner mehr heraus".

Aber sie und alle Kollegen beeilten sieh- siehimmer sehr, die bestehende Vorschrift einzuhalten und liefen dann so schnell esging zur Kirche auf den Kaiserplatz. Hier fühlten sie sich sicher. Aber beidiesem Angriff war ja das Entsetzliche, dass man nach dem Alarm die Entwarnunggab. Darauf folgte dann der Voll-Alarm.

Die Schreibmaschinen, schwer, warengerade oben wieder auf ihren Plätzen, mussten aber wieder zurück geschlepptwerden. Da blieb keine Zeit mehr für den Weg zur Kirche am Kaiserplatz. Ich warmir völlig klar darüber. Aber es gab auch keine weitere Stelle, die Auskunftgeben konnte oder befugt war dazu.

Der Abend rückte langsam näher und ich wurdemir klar darüber, dass ich jetzt die Verantwortung hatte, dafür zu sorgen, dassich für meine Mutter am Leben bleiben musste. Mit viel Mühe konnte ich meineGroßmutter überreden, mit mir in den Bunker zu gehen, um dort die Nacht zuverbringen. Sie war ein Absoluter Gegner von Luftschutzbunkern etc. In ihremAlter bringe das nichts mehr. Mir zuliebe kam sie mit.

Der Aufenthalt in diesem Bunker war auch für mich der erstein meinem leben. Ich hatte schon den ersten Groß-Angriff auf Berlin erlebt,aber eben auch ganz normal im Haus-Luftschutzkeller.

Die Situation an diesem Morgen des 18. Oktober war für michauch nur aus der Tatsache heraus entstanden, weil unsere Schule, die OberschuleII, Königstrasse, nach den Ferien geschlossen worden war.

Um mich nicht aus dem Lern-Programm ganz herauszulösen, kammeine Mutter auf die Idee, mir Unterricht in Mathe und Englisch geben zulassen. Sie machte mir den Vorschlag, mich mit einer Freundinzusammenzuschließen. Das glückte auch und seitdem gingen wir zu einem Prof, inder Argelanderstraße -Name vergessen- obwohl damals sehr bekannt. An diesemVormittag hatten wir wieder unseren Termin. Ich war zu Hause zeitig fertig,machte mich auf den Weg, meiner Freundin entgegenzugehen. Sie wohnte in derNoeggerathstraße und kam schon mit ihrer Mutter. Als wir in Höhe des Bahnhofswaren, gingen die Sirenen. Wir liefen die Treppenstufen hinauf.

Es gab einendirekten Weg vom Bahnhof in den Bunker. Ich sah den Eingang zum ersten Mal undes war mir natürlich alles fremd und neu. Aber meine Begleitung kannte sichaus. Wir gingen in einen relativ großen Raum und trafen auch noch andereunserer Mitschülerinnen, die in der Umgebung wohnten. Ich hatte den Eindruck,es gab schon viele Stammkunden auf Stammplätzen.

Wir rückten dicht zusammen underfuhren dann nach einiger Zeit von der Entwarnung. Mit meiner Mutter hatte icheine Abmachung, bei Alarm immer sofort in den nächstliegenden Bunker zu gehenund dort auch so lange zu bleiben, bis ich wirklich wusste, es besteht keineGefahr mehr. Ich beharrte für meine Person jetzt darauf, zu bleiben.

So kames, dass wir beim Voll-Alarm noch gut da drinnen saßen. Der Angriff ging sorasch und schnell direkt über uns los. Hin und wider gab es eine Meldung, dieAltstadt sei betroffen und das Universitätsgebäude. Dann ging plötzlich eine völligfremde Macht wie im Nebelwind durch unseren Raum, es wackelte, das Licht gingaus, dann wieder an und alles normalisierte sich, aber es war und blieb einbedrückendes Gefühl. Später erfuhren wir, eine Luftmine habe den Bunkergetroffen.

Die erste Nacht in diesem Bunker machten wir alle kein Augezu und trotzdem war man am nächsten Tag wieder hell da und rollte allesWichtige der Reihe nach ab. Da aber der Stadtteil, in dem meine Mutter sichwohl noch befand, so schwer getroffen war, erfuhr man nichts Konkretes. Derzweite Nacht-Aufenthalt verlief nicht viel anders.

Die Großmutter blieb wieder in der Münsterstraße, ich saßmit Freundin und Mutter im Bunker. Immer wieder damit beschäftigt, überoffizielle Stellen genauere Details zu erfahren. Am dritten Tag hieß es dann,es seien Truppen aus anderen Städten dabei, die Trümmer zu beseitigen, um dieVerschütteten zu retten. Dann herrschten wohl Zweifel über die Anlage derSchutzräume. Die Zeichnungen von den Luftschutzräumen deckten sich nicht mitanderen vorhandenen Dokumenten.

Was von links nach rechts geschüttet war, wurde wiederzurück befördert. So kamen ständig neue Hiobs-Botschaften.

Meine Großmutter hatte, ohne mein Wissen, eine rote Karte,die damals besonders befördert wurde, in die Mark Brandenburg zu meinem Vatergeschickt, um ihn über die Ungewissheit zu informieren.

Meine Mutter lebte nicht mehr - ich war zu diesem Zeitpunktgerade 16 Jahre alt, fühlte mich einsam und verlassen; ich war unsagbartraurig.

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