Bonner Bilderbogen Schule unter freiem Himmel

Bonn · Ein Bild aus dem Jahr 1928 zeigt Schulunterricht im Freien. Zu finden war die Bonner Freiluftschule an der Kölnstraße. 1919 wurde sie von der Stadt im Kampf gegen die Tuberkulose eröffnet.

Schulunterricht im Freien, das galt seit den 1970er Jahren meist als Zeichen für ein gewisses Laissez-faire, das von besonders nonkonformistisch angehauchten Lehrern - vorzugsweise unter den argwöhnischen Augen konservativer Kollegen - an warmen Frühlingstagen in den Lehralltag gestreut wurde. Bei den Schülern fielen Abwechslung (und Ablenkung) meistens auf fruchtbaren Boden. Zu glauben, der Unterricht im Freien sei eine Erfindung der Achtundsechziger gewesen, wäre jedoch ein Irrtum - wie beispielsweise eine Fotografie aus Bonn zeigt. Datiert ist sie mit dem Jahr 1928.

Frische Luft, viel Grün und Unterricht, all das vermittelt jenes Bild, auf dem Fotograf Hermann Knitterscheid die Atmosphäre der "Bonner Freiluftschule" eingefangen hat. Nur von Laissez-faire ist nicht allzu viel zu sehen. Starr und in einheitlicher Körperhaltung, die Arme im selben kongruenten Winkel auf dem blank geräumten Tisch ruhend, so sitzen die zwei Dutzend Kinder in ihren einheitlichen Leibchen auf den Holzbänken - und man fragt sich, ob sie da wohl immer so saßen, oder lediglich dem Fotografen einen Wunsch erfüllten. Oder ob ihre Andacht womöglich mit dem Unterrichtsstoff zusammenhängt, denn offenbar ist gerade das Heilige Land Thema an der Freiluftschule.

Der Zeigestock der Mitschülerin deutet, streng oder wohlwollend beobachtet von dem Lehrer mit dem lichten Haarkranz, gut erkennbar auf den See Genezareth. Zu finden war die Bonner Freiluftschule übrigens an der Kölnstraße. Während die Umgebung auf diesem Bild leicht mit dem Park des früheren Johannes-Hospitals verwechselt werden kann, befand sich die Freiluftschule tatsächlich etwas weiter nördlich, etwa auf der Höhe des Poststadions.

Die Idee der Freiluftschulen gab es bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Alternative zur Kinderverschickung. 1919, im ersten Friedensjahr nach dem Krieg, wurde sie von der Stadt im Kampf gegen die Tuberkulose eröffnet. Für jeweils acht Wochen nahm sie Kinder mit allgemeiner Körperschwäche und Veranlagung zu Lungenkrankheiten auf. Draußen unterrichtet wurde vom 1. April bis zum 15. November. Milchsuppe am Morgen, Unterricht im Freien, Atemübungen in den Pausen, Spiele am Nachmittag und abends mit dem Bus wieder nach Hause. Tatsächlich verbesserte sich der Gesundheitszustand der lungenkranken Kinder erheblich. Auf einer internationalen Ausstellung für Freiluftschulen in Brüssel erhielt die Bonner Freiluftschule 1931 eine Goldmedaille, wurde aber aus finanziellen Gründen ein Jahr später geschlossen.

Das Foto ist eines von 400 Bildern, die in dem neu erschienenen Buch "Bonn. Von der Rheinreise zu den Ostverträgen. Fotografien 1850 bis 1970" enthalten sind. In mehreren Folgen stellen wir ausgewählte Motive aus der Sammlung vor. Das Buch aus dem Greven-Verlag kostet 39,90 Euro und ist in allen GA-Zweigstellen erhältlich.

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