Zwei Stunden zwischen Tat und Urteil Ladendiebe kommen in Bonn schneller vor Gericht

Bonn · Im Schnitt ereignen sich 3,7 Ladendiebstähle pro Tag in der Bonner Innenstadt. Für die Täter liegen zwischen ihrem Diebstahl und dem Urteil der Justiz im schnellsten Fall nur zwei Stunden. Das sogenannte beschleunigte Gerichtsverfahren hat sich aus Sicht der Polizei bewährt.

Im Vorbeigehen eingesteckt: Kleidung, Elektrogeräte, Kaffee und teure Parfüms stehen bei Ladendieben hoch im Kurs.

Im Vorbeigehen eingesteckt: Kleidung, Elektrogeräte, Kaffee und teure Parfüms stehen bei Ladendieben hoch im Kurs.

Foto: Steve Lovegrove - stock.adobe.co

Zuweilen geht es so schnell, dass auch die besten Leichtathleten unter den Detektiven das Nachsehen haben. Mancher Passant ist bei seinem Einkaufsbummel in der Bonner Fußgängerzone schon einmal überraschter Zeuge der wilden Verfolgung eines mutmaßlichen Ladendiebs geworden. Wird der Täter am Ende geschnappt, klappen die zuständigen Ermittler der Bonner Polizei eine neue Akte auf. Rund 1350 Mal hatten sie es im Jahr 2017 allein mit Fällen zu tun, bei denen der Tatort in der Bonner Innenstadt lag. Doch nicht nur die Diebe sind schnell: Immer häufiger gelingt es Ermittlern, Staatsanwaltschaft und Gerichten, niederschwellige Delikte im so genannten beschleunigten Verfahren zu verhandeln. Mitunter kann es dann noch am Tattag zu einem Gerichtsurteil kommen. Ein Problem aber bleibt: Lediglich ein Bruchteil aller Taten kommt überhaupt zur Anzeige.

Die Statistik: In der City-Wache an der Bornheimer Straße gibt Kriminalhauptkommissar Klaus Mertins einen Lageüberblick. Der 53-Jährige leitet das Kriminalkommissariat 36. Das 16-köpfige Team ist zuständig für leichtere und mittlere Straftaten, die in der Bonner Innenstadt verübt werden und nicht in die Aufgaben von Fachkommissariaten wie der Drogenfahndung fallen. Vom Schwarzfahren bis hin zur gefährlichen Körperverletzung also landet alles auf den Schreibtischen von Mertins und seinen Kollegen. Dass es das Kommissariat 36 mit gut der Hälfte aller Ladendiebstähle zu tun bekommt, die im Gebiet des Polizeipräsidiums (Bonn, Königswinter, Bad Honnef und die Städte und Gemeinden im linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis) angezeigt werden, begründet Mertins plausibel: „In der Bonner Innenstadt konzentriert sich nun einmal die Geschäftswelt. 2683 Delikte zählte die Kriminalstatistik für das Jahr 2017, die Hälfte der Taten geschah in der Bonner City. Das macht dort im Schnitt 3,7 Ladendiebstähle am Tag.“ Über die Jahre gesehen, sind die Zahlen übrigens konstant (siehe Grafik), die jüngste Zahl entspricht fast genau dem Fünf-Jahres-Schnitt.

Dass die Statistik nur aktenkundige Fälle erfasst und die Dunkelziffer ungleich größer sein dürfte liegt auf der Hand – zumal längst nicht jeder Ladendiebstahl überhaupt bemerkt und angezeigt wird. In der Natur der Sache liegt es auch, dass die Aufklärungsquote verglichen mit anderen Straftaten extrem hoch ist. Bei 92 Prozent lag sie 2017. „Das sind zumeist die Fälle, die uns die Ladendetektive übergeben“, sagt Mertins. Hinzu kommen dann etwa Sachverhalte, bei denen (erfolgreich) mit Kamerabildern öffentlich nach Tätern gefahndet wird.

Schnelle Gerichtsverfahren:

2017 wurden in 200 Fällen Verdächtige mit dem Ziel der Untersuchungshaft oder aber der so genannten Hauptverhandlungshaft festgenommen. Letztere kommt für maximal sieben Tage infrage, wenn der Sachverhalt klar und der Beutewert niedrig ist. Beim „beschleunigten Verfahren“ verständigen sich Polizeibeamte unverzüglich mit Staatsanwaltschaft und Amtsgericht, das im Extremfall noch am selben Tag in öffentlicher Sitzung ein Urteil spricht. Möglich sind Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Den Bonner Rekord hält eine Frau vom Balkan, die kürzlich zwei Stunden nach einem Ladendiebstahl verurteilt wurde. Aus Mertins' Sicht ist das nur auf Erwachsene anwendbare beschleunigte Verfahren eine hervorragende Waffe im Kampf gegen Kleinkriminalität: „Der generalpräventive Effekt ist unbestreitbar.“

Die Täter:

Dennoch hat Mertins nicht zuletzt die vielen jungen Täter im Blick, die zu seiner Klientel gehören. „Bei einem Fünftel der Tatverdächtigen handelt es sich um Minderjährige, darunter auch strafunmündige Kinder.“ Noch stärker fällt der hohe Ausländeranteil ins Auge. 2017 hatten 46 Prozent (2016: 54 Prozent) der mutmaßlichen Diebe keinen deutschen Pass. Zum Vergleich: Der Ausländeranteil der Einwohner Bonns liegt bei knapp 13 Prozent.

Besonders stark vertreten waren Personen aus Südosteuropa und Nordafrika. Dass sich die Flüchtlingswelle seit Herbst 2015 in einer drastisch zunehmenden Zahl der Ladendiebstähle niedergeschlagen habe und diese Taten von den Behörden nicht ernsthaft verfolgt würden, wie es der Handelsverband Deutschland 2017 in einem Brandbrief an die Bundesregierung beklagt hatte, bestätigt Mertins für Bonn nicht. „Unsere Zahlen für die entsprechenden Jahre tragen diese These nicht“.

Dass hingegen „gut aufgestellte Banden“, oft gut mit Auftraggebern in den Herkunftsländern vernetzt, in Bonn ihr Unwesen treiben, bestätigt der Kriminalhauptkommissar. Ein anderes Spezifikum sind Drogenabhängige, die zur Finanzierung ihrer Sucht permanent Geld benötigen. Von den 1950 Tatverdächtigen im vergangenen Jahr waren 107 drogenabhängig. Ein schneller Ladendiebstahl im Vorbeigehen scheint für die Beschaffungskriminalität nahezu prädestiniert. Durchaus kommt es vor, dass Drogensüchtige unter extremen Entzugserscheinungen das Diebesgut beliebigen Menschen auf offener Straße zum Kauf anbieten.

Das Diebesgut:

Typischer ist hingegen die hochprofessionelle Variante gewerbsmäßiger Diebe: In lebhafter Erinnerung ist im Kriminalkommissariat 36 ein 28-jähriger Pole, der Mitte März in einem Kaufhaus an der Remigiusstraße ein Dutzend Sonnenbrillen im Gesamtwert von 2000 Euro mitgehen ließ und trotz erheblicher Gegenwehr gestellt und verhaftet werden konnte. Besonders hoch im Kurs stehen bei Diebesbanden auch elektrische Zahnbürsten, Kaffee, Rasierklingen sowie teure Parfüms, die in „geschlossenen Zirkeln“ vermarktet werden, dabei mutmaßlich durch viele Hände gehen, bis sie schließlich in Internetauktionen angeboten werden.

Dass besonders oft Kaufhäuser heimgesucht werden, ist laut Mertins mit dem großen Warenangebot zu erklären. Die Überwachung obliegt hier den Ladendetektiven und Sicherheitsdiensten. Mit den örtlichen Einzelhandelsverbänden steht die Polizei in regem Kontakt, um diese bei der Prävention zu unterstützen. „Sobald wir eine neue Masche erkennen, geben wir die Information natürlich als Warnung weiter“, sagt Klaus Mertins.

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