Pendlerzahlen aus NRW Jeder zweite Berufstätige pendelt

BONN · Lange Staus auf den Straßen, überfüllte Bahnen und Busse, Zeitdruck, Hektik und Stress - vor der Arbeit und meistens auch noch danach: Gut jeder zweite der 8,7 Millionen Berufstätigen in Nordrhein-Westfalen arbeitet nicht an seinem Wohnort.

4,4 Millionen Menschen pendeln nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes zur Arbeit in eine andere Stadt. Und: Die meisten von ihnen sind vom werktäglichen Hin-und-Her nicht begeistert, schlimmer noch: Manche Berufspendler werden sogar dauerhaft krank.

"Wer es sich leisten kann, zieht in die Stadt und vermeidet so den Stress im morgendlichen und abendlichen Stau", sagt Verkehrsforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen. Mehr Zeit für sich und seine Familie zu haben, sei für immer mehr Beschäftigte ein ganz wichtiger Faktor bei der Wahl von Wohn- und Arbeitsort. Kanadische Wissenschaftler wollen sogar herausgefunden haben: Je länger der Anfahrtsweg zur Arbeit, desto unglücklicher ist der Pendler mit seinem Leben insgesamt.

Eine Schweizer Studie kommt zu dem Ergebnis: Wer für den Weg zur Arbeit eine Stunde unterwegs ist, müsste 40 Prozent mehr verdienen, um genau so glücklich zu sein wie jemand, der an seinem Wohnort arbeitet. Trotzdem machen sich jeden Morgen wieder Millionen Menschen auf den Weg, zwei Drittel von ihnen setzen sich ins Auto, nur gut ein Fünftel kommt mit dem Fahrrad oder zu Fuß zum Job.

Allein nach Köln pendeln nach Angaben des Statistischen Landesamtes fast täglich 305 000 Berufstätige zur Arbeit, nach Bonn kommen mehr als 126 000. Die Zahlen stammen aus dem Jahr 2013, jüngere Zahlen liegen noch nicht vor. Die Einwohner von Münster arbeiten dagegen ganz überwiegend an ihrem Wohnort. Nur ein knappes Viertel der Erwerbstätigen verlässt die Grenzen der westfälischen Universitäts- und Bischofsstadt. Das ist die niedrigste Auspendlerquote aller 396 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen.

Am anderen Ende der Statistik rangiert die Gemeinde Alfter. Dort fahren fast 84 Prozent aller Erwerbstätigen in eine andere Gemeinde, mehr als jeder zweite von ihnen arbeitet in Bonn.

Die meisten Menschen, die in Bonn arbeiten, leben in Köln (13 830) gefolgt von Sankt Augustin (7226) und Bornheim (6296). Und auch die Bonner fahren oft in eine andere Stadt zum Arbeiten: die meisten von ihnen haben einen Job in Köln. Knapp 53 000 Bonner pendeln zur Arbeit in eine andere Stadt.

Durchschnittlich eine Dreiviertelstunde unterwegs

Die Zahl der Berufspendler hat (nicht zuletzt dank der gut laufenden Konjunktur) in den vergangenen Jahren kräftig zugenommen, ihr Anteil an den Erwerbstätigen allerdings nicht. Schon für das Jahr 2002 hatte das Statistische Landesamt errechnet, dass jeder zweite Erwerbstätige nicht an seinem Wohnort arbeitet. Damals waren es aber rund 600 000 Menschen weniger, die pendelten.

Nicht nur höher Qualifizierte fahren zur Arbeit in andere Städte. "Deren Bereitschaft zu pendeln ist zwar generell höher als bei geringer Qualifizierten, aber auch sie müssen immer häufiger längere Strecken zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen", sagt Anette Haas. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit der räumlichen Mobilität von Arbeitskräften.

Pendler kommen nicht nur aus der Nachbarstadt. Viele Bonner etwa nehmen sogar mehr als 60 Kilometer täglich auf sich, um in Düsseldorf zu arbeiten. Landesweit brauchen ein Viertel aller Erwerbstätigen in NRW mehr als eine halbe Stunde zu ihrem Arbeitsplatz, länger als eine Stunde waren allerdings nur 4,3 Prozent unterwegs. Der bundesweite Durchschnitt liegt laut Haas bei einer Dreiviertelstunde. Der Trend zu immer längeren Strecken beim Pendeln hat sich nach Beobachtungen der Wissenschaftlerin zuletzt abgeschwächt. "In den vergangenen Jahren sind die durchschnittlich zurückgelegten Strecken nicht unbedingt länger geworden. Das ist auch eine internationale Entwicklung", hat sie festgestellt. Außerdem ein Trend: Pendeln werde nicht mehr nur als Zwischenlösung begriffen, sondern von vielen - vor allem verheirateten Doppelverdienern - auch als längerfristige Lösung akzeptiert, sagt Haas.

Sascha Baron, Mobilitätsforscher an der Technischen Universität Kaiserslautern, plädiert zudem für eine Verbesserung des betrieblichen Mobilitätsmanagements: "Arbeitgeber könnten mehr tun, um die Mobilität ihrer Mitarbeiter zu verbessern. Firmen können gezielt Anreize schaffen, um beispielsweise die Beschäftigten zum Umsteigen vom Auto auf Busse und Bahnen oder aufs Fahrrad zu bewegen", sagt Baron. "Außerdem können sie Fahrgemeinschaften oder Carsharing unterstützen oder Telearbeitsplätze fördern. Alle diese Maßnahmen helfen, den Berufsverkehr zu entzerren."

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