Wer bestellt, der zahlt auch Das süße Gift des Kassenkredits

BONN · Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, der zahlt auch. Doch diese Regel müssen häufig erst Verfassungsrichter für die Kommunen durchsetzen

Ein Rettungssanitäter fühlt im Notfall als erstes dem Ohnmächtigen den Puls, bei deutschen Städten und Gemeinden reicht ein Blick auf den "Dispo", um festzustellen, wie gesund der Patient ist. Den Kontokorrentkredit zum Disponieren und Ausgleichen monatlicher Schwankungen kennt jeder Privatmann: Wer kurzfristig eine Urlaubsreise bucht, obwohl er knapp bei Kasse ist, überzieht sein Girokonto.

Erholt zurückgekehrt, muss Klaus Mustermann dann durch sparsame Lebensführung das Minus wieder abstottern. Kauft Meister Mustermann nach der Urlaubsrückkehr jedoch gleich ein schickes Auto auf Pump und überzieht seinen Dispo, erhält er bald einen Anruf von der Bank: Nichts geht mehr. Kommunen erhalten diesen Anruf nicht. Ihr Dispo heißt Kassenkredit und kennt keine Grenze.

Eigentlich sollte der Kassenkredit - wie im Privaten - nur helfen, wenn sich einmal eine Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben ergibt. Seit Jahren herrscht eine andere Praxis: Ohne Kassenkredite läuft in vielen deutschen Städten nichts mehr. Selbst laufende Gehälter werden in einigen Kommunen per "Dispo" bezahlt.

Das süße Gift des Kassenkredits birgt ungeahnte Risiken. In Zeiten niedriger Zinsen, wie gegenwärtig, schwächt es den Sparwillen. Billiger war Geld nie. Nicht selten ergattern die Mitarbeiter des kommunalen Finanzmanagements in diesen Tagen Kassenkredite zu Zinsen zwischen 0,25 und 0,8 Prozent. Das wird so nicht bleiben.

Geringste Ausschläge des Zinspendels nach oben haben dann verheerende Auswirkungen und können manche Kommune in das Haushaltssicherungsgesetz oder den Nothaushalt drängen. Käme die Umsetzung von Basel III mit allen Konsequenzen hinzu, etwa mit Risikoaufschlägen beim Zins für ver- oder überschuldete Kommunen, würde aus einer schleichenden eine rasende Verschuldungsspirale.

In NRW wohnen 22 Prozent der Bundesbürger, aber auf sie entfallen fast 50 Prozent aller bundesweiten Dispos von 45 Milliarden Euro (Ende 2011). Für Georg Schell ist der Kassenkredit deshalb "der Vorbote der kommunalen Pleite". Der CDU-Fraktionschef von Sankt Augustin hat sich akribisch mit dem Thema befasst und ausgerechnet, dass der NRW-Konsum des süßen Gifts zwischen 2000 und 2011 "um etwas mehr als 800 Prozent (!)" gestiegen ist.

22.000.000.000 Euro Kassenkredite: Wie viel das ist? Auch das hat Schell anschaulich gemacht. Das durchschnittliche Netto-Jahreseinkommen von 670.000 Familien in NRW wäre notwendig, um die Konten der NRW-Kommunen auf null zu setzen.

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