Betrüger Hermann Meincke Der Diamantenmacher von Bonn

BONN · Am 1. April 1952 tritt Helmut Stiehl in eine Firma ein, die es eigentlich nicht geben kann. Denn angeblich entwickelt die Hamak KG im ehemaligen Gasmasken-Prüfraum der Gallwitz-Kaserne in Duisdorf ein Verfahren zur massenhaften Herstellung künstlicher Diamanten.

 Der "Diamantenmacher" Hermann Meincke (oben rechts) auf der Anklagebank. Auch in der Hauptverhandlung vor dem Bonner Landgericht im Sommer 1953 hält er an seiner Idee fest. In der Mitte unten sitzt der mitangeklagte Bruder. Repro: Stienen

Der "Diamantenmacher" Hermann Meincke (oben rechts) auf der Anklagebank. Auch in der Hauptverhandlung vor dem Bonner Landgericht im Sommer 1953 hält er an seiner Idee fest. In der Mitte unten sitzt der mitangeklagte Bruder. Repro: Stienen

Der 28-jährige Spätheimkehrer Stiehl fängt in diesem Versuchslabor guten Glaubens als Chemotechniker an. Da ahnt er noch nicht, dass der Diamantenmacher von Bonn, Hermann Meincke, gar kein genialer Erfinder ist, sondern der größte Schwindler seiner Zeit.

"Soldaten, Adelige, Kaufleute - sie sind ihm alle auf den Leim gegangen", erinnert sich heute Helmut Stiehls Witwe Gerda im GA-Gespräch. Die 87-Jährige blättert im Esszimmer ihres Hauses in den alten Magazin-Ausschnitten aus dem "Stern" über Meinckes Gerichtsverhandlung im Sommer 1953. "Der Hauptmann kam nicht von Köpenick" hieß die Serie aus dem Bonner Landgericht. Zu diesem Zeitpunkt waren schon alle schlauer.

Anfangs war das nicht der Fall: "Selbst Ludwig Erhard ist auf ihn reingefallen", sagt Gerda Stiehl heute. "Der war damals Bundeswirtschaftsminister und hat die Sache unterstützt." Nachher, so berichtet die Bonnerin, wollte keiner mehr was von dem Vorhaben wissen. Denn der Diamantenmacher mit dem Doktortitel und dem genialen chemischen Sachverstand entpuppte sich später als vorbestrafter Schneidergeselle mit Hang zur Übertreibung. Peinlich.

Nach dem Studium der Gerichtsberichte des General-Anzeigers aus dem Juli 1953 bestätigt sich Gerda Stiehls Eindruck, dass der schlaue Dr. Meincke sie alle genarrt hat. Einen unfreiwilligen Beitrag zur Beglaubigung des falschen Doktors leistete dabei offensichtlich das Erhardsche Bundeswirtschaftsministerium.

Auf eine Kleine Anfrage der SPD antwortete Erhard im Januar 1953, dass er Meincke bereits im Juli 1951 auf dem Gelände des Ministeriums ein unbenutztes Gebäude "zur Durchführung von volkswirtschaftlich bedeutungsvollen Versuchen" zur Verfügung gestellt hatte, eben jenen alten Gasmasken-Prüfraum.

Erhard weiter: "Die Zurverfügungstellung erfolgte, nachdem Meincke glaubhaft gemacht hatte, daß er sich mit Versuchen zur Herstellung künstlicher Diamanten beschäftigte und daß er von mehreren Seiten, die an einem Gelingen derartiger Versuche nicht interessiert sein konnten, bedroht sei."

Bei einer Gesellschafterversammlung am 15. September 1951 zeichneten die vermögenden Adeligen, Militärs und Kaufleute Anteile im Wert von einer Million D-Mark. Mit 250.000 Mark gehörte ausgerechnet der Hamak-Geschäftsführer, Diplom-Kaufmann Werner, zu den am meisten Geschädigten; noch zu seinem Geburtstag hatte er von Meincke einen Brief erhalten, nach dem dieser die ersten künstlichen Diamanten hergestellt habe.

"Diamanten! So groß wie Streichholzköpfe"

Wie der GA berichtete, mischte Meincke Schmirgelkristalle in den chemischen Abbrand bei seinen Versuchen und kam dann jubelnd mit den Kristallen aus dem Labor gestürmt: "Diamanten! So groß wie Streichholzköpfe."

Um seine Glaubwürdigkeit zu stützen, schmuggelte Meinckes mitangeklagte Nichte Edeltraud auch echte, gekaufte Diamantensplitter in das Labor, die dann ebenfalls in die Abbrände bei den Versuchsreihen hineingemogelt wurden. So rief Edeltraud bei einigen Experimenten dem Versuchsleiter zu: "Oh, ich habe einen großen Diamanten."

Meincke versprach seinen Geldgebern bei einer Einlage von 150.000 Mark einen wahnwitzigen Tagesgewinn von 480.000 Mark. Geschäftsführer Werner jedenfalls glaubte ganz fest an das bahnbrechende alchimistische Projekt, träumte von einer Ausweitung der Produktionsstätten und sogar von einer eigenen Stiftung.

Im GA vom 21. Juli 1953 hieß es: "Aber der Erfolg dieser Schwindler setzt Mitspieler voraus, die bereit sind zu glauben und - gleichgültig aus welchen Motiven - dafür materielle Opfer zu bringen."

Chemotechniker Helmut Stiehl kamen schon nach zweimonatiger Dienstzeit erhebliche Zweifel. In einem DIN-A6-Notizheft vermerkte er peinlich genau die Ergebnisse aller seiner Versuchsreihen. Außerdem notierte er, wer in dem Labor arbeitete. Weil Stiehl allzu neugierig war und später sogar Beweisfotos im Labor anfertigte, erhielt er am 24. Oktober 1952 die Kündigung.

Doch Helmut Stiehl fühlte sich im Recht, hatte er doch durch seine Nachforschungen ein Stückchen dazu beigetragen, einen firmenschädigenden Schwindel aufzudecken.

In einem zwölfseitigen Schreiben hielt er Erlebnisse und Erkenntnisse aus dem Labor minuziös fest und kam zu dem Schluss, dass es Meincke niemals gelungen sein könne, die angekündigte Diamantensynthese zu realisieren, sondern dass "seine angeblichen Erfolge auf arglistigen Täuschungen basierten".

In der Hauptverhandlung gegen Meincke würde Stiehl im Sommer 1953 als Zeuge aussagen, in seinem Arbeitsgerichtsprozess mit der Schwindlerfirma am 11. November 1952 saß Stiehl gewissermaßen noch auf der Anklagebank. Im Grunde völlig absurd, findet nicht nur seine Witwe Gerda heutzutage. Zum 30. November 1952 wurde der Betrieb mit dem Diamantenlabor stillgelegt.

Erster Diamant sollte "Erhard" heißen

Doch auch in der Hauptverhandlung vor der 1. Großen Strafkammer unter Landgerichtsdirektor Vohwinkel im Juli 1953 hielt der Schwindler Hermann Meincke an seiner genialen Idee fest und fasste das Ergebnis seiner "Forschungstätigkeit" so zusammen: "Die Herstellung künstlicher Diamanten ist nach dem von mir entdeckten Verfahren möglich. Zu einer Fabrikation von Diamanten sind aber andere Maschinen erforderlich, um es wirtschaftlicher zu gestalten."

Noch in der Untersuchungshaft hatte Meincke eine Abhandlung über seine Herstellungsmethode geschrieben. Am 23. Juli 1953 verurteilte ihn das Bonner Landgericht wegen Betruges, Urkundenfälschung und unbefugten Führens akademischer Titel zu drei Jahren Gefängnis, seine Ehefrau und seinen Bruder Wilhelm wegen Beihilfe zum Betrug zu drei beziehungsweise sechs Monaten Haft.

Gerda Stiehl muss schmunzeln, wenn sie daran denkt, dass Ludwig Erhard auf den ersten künstlichen Diamanten aus Meinckes Edelsteinküche angestoßen haben soll. Wie etwa der "Spiegel" berichtete, sollte der erste Diamant sogar den Namen "Erhard" erhalten.

Im Bundestag und auch in Erhards Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD war davon freilich keine Rede mehr: "Die Feststellungen der Staatsanwaltschaft Bonn, bei der das Bundeswirtschaftsministerium die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens veranlaßte, haben ergeben, daß am 1. September 1951 ein künstlicher Diamant nicht hergestellt wurde." Das "nicht" in dem Satz liest sich fast so, als gehörte es eigentlich nicht dorthin.

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