"American Sniper" Wehrlos an der Heimatfront

Clint Eastwoods umstrittener Film "American Sniper" kommt morgen ins Kino

 Kampfmaschine: Bradley Cooper als Chris Kyle.

Kampfmaschine: Bradley Cooper als Chris Kyle.

Foto: Courtesy of Warner Bros. Picture

Nein, das ist kein Duell auf Augenhöhe. Chris Kyle liegt auf einem Dach im Irak und soll den US-Truppen auf der staubigen Straße Feuerschutz geben. Durchs Visier des Präzisionsgewehrs sieht er eine verschleierte Einheimische, die einem Jungen offenbar eine Granate gibt. Und der Knabe läuft damit auf den Feind zu... Was tun? Mit diesem brutalen Dilemma nimmt uns "American Sniper" (ab morgen im Kino) gleich in den Würgegriff.

Doch bis zur Auflösung der Szene nimmt sich Regisseur Clint Eastwood Zeit. Man sieht, wie Chris Kyle als Kind in Texas vom Vater mit auf die Jagd genommen wird und ein grobgerastertes Menschenbild eingetrichtert bekommt: "Es gibt Schafe, Wölfe und Schäferhunde. Schafe und Wölfe dulde ich in diesem Haus nicht." Kyle wird Rodeoreiter, ein Cowboy, den der 11. September 2001 patriotisch entflammt: Bei den Navy-Seals fällt sein frappierendes Scharfschützentalent auf, das ihm bei vier Einsatzzyklen im Irak mehr als 160 tödliche Treffer einbringt. Ein Held?

Der Sniper ist keine Erfindung, sondern Realität

Chris Kyle ist keine Erfindung, sondern zwiespältige Realität. Er hat in Memoiren über seine Freude am Krieg gegen die "Barbaren" geschrieben - kurz bevor er am 2. Februar 2013 von einem traumatisierten Veteranen auf einem Schießstand in Texas getötet wurde. Eastwoods Kamera hatte den Hunden des Krieges mit dem Doppelprojekt "Flags of our Fathers" und "Letters from Iwo Jima" schon tief in die Kehle geblickt.

Eine Pazifikschlacht von 1944 aus amerikanischer und japanischer Sicht - so viel dramaturgische Fairness gibt es diesmal nicht: Die in Kyles Fadenkreuz auftauchenden Iraker sind (bis auf wenige Opfer) Guerillakämpfer oder Al-Qaida-Sadisten, Wölfe also. Umkehrt wird Kyles Charakter retuschiert, bekommt mehr Skrupel als dumpfe Ressentiments. Hier liegen offene Flanken für Kritik am Film, der US-Kinos schon 300 Millionen Dollar in die Kassen spülte, bei den Oscars floppte und in der arabischen Welt verhasst ist. Dennoch zielt der Propagandavorwurf daneben. Gerade dank der Weichzeichnung des realen Vorbilds spielt Bradley Cooper den Scharfschützen so, dass man ungern in seine Fußstapfen träte. Dieser große, bärtige Mann scheuert sich an an der eigenen Haut wund, den Einklang mit sich und seiner "Mission" strafen immer mehr verräterische Gesten Lügen.

Cooper macht das brillant. Zwar zeigt das Kino den an der Heimatfront wehrlosen Soldaten nicht zum ersten Mal. Auch hier gibt es den Rasenmäher, dessen Helikoptergeräusch den Veteranen aufschreckt. Doch wenn Kyle seine Tochter im Brutkasten schreien sieht und angesichts tatenloser Schwestern in Rage gerät, erlebt man eine psychopathische Zerreißprobe zwischen Mitleid und Aggression.

Der Altmeister schwenkt in vertraute Westernmuster um

Gegenüber den knallhart inszenierten Kampfeinsätzen wirken die Urlaube bei der schönen Frau Taya (Sienna Miller) und den beiden Kindern fast schmerzhaft überbelichtet, so als ob diese Welt surreales Blendwerk wäre. Doch selbst solch hohe Regiekompetenz erobert dem Kriegsfilm hier keine neuen "Apocalypse Now!"-Horizonte. Und da Heckenschützen kaum unter Heroismusverdacht stehen, schwenkt der Altmeister (84) in vertraute Westernmuster um. Kyle bekommt einen brillanten Gegner namens Mustafa angedichtet, der ihn - über mehr als eine Meile Distanz - zum Showdown fordert. Der Rückweg ins Cowboyidyll bleibt jedoch versperrt, denn Clint Eastwood zeigt eines in bitterer Konsequenz: Lebendiges in Totes verwandeln zu können, ist eine vergiftete Gabe. Kinopolis

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