Bonner Kunstverein Mehr Experimente wagen

BONN · Die 37-jährige Britin Michelle Cotton wird neue Direktorin des Bonner Kunstvereins. Sie folgt auf die Schweizerin Christina Végh, die im Mai 2015 nach zehn Jahren in Bonn ihr Direktorenamt in der Kestnergesellschaft Hannover antritt und gestern Abend im Kunstverein feierlich verabschiedet wurde (ausführlicher Bericht in der Samstagsausgabe).

 "Eloquent und eigenständig": Michelle Cotton.

"Eloquent und eigenständig": Michelle Cotton.

Foto: Eloise Parry

55 Bewerber hatten sich für die Bonner Stelle interessiert. Unter Leitung des Ersten Vorsitzenden des Kunstvereins, Henning Boecker, und mit Hilfe der externen Berater Susanne Gaensheimer, Chefin des Museums für Moderne Kunst Frankfurt, und dem gebürtigen Bonner Yilmaz Dziewior, ab Februar 2015 neuer Direktor des Kölner Museums Ludwig, sowie etlicher "Informanten aus der Szene" (Boecker) wurde ein engeres Feld von acht Kandidaten bestimmt. Michelle Cotton setzte sich nach einem einstimmigen Votum des Vorstandes durch.

Boecker bezeichnete sie gegenüber dieser Zeitung als "intelligent, eloquent und eigenständig". Er lobte die studierte Kunsthistorikerin als exzellent in der internationalen Szene, aber auch in Deutschland vernetzt. Cotton bringe eine "eigene Handschrift" mit, bürge für ein "autarkes Ausstellungsprogramm". Diese zwei Kriterien sowie der gewünschte "Generationswechsel" hätten, so Boecker, den Ausschlag gegeben.

Die neue Chefin wird die Position zum 1. März 2015 antreten, das neue Programm unter ihrer Leitung beginnt ab Herbst 2015. Unter Cottons Führung werde der Bonner Kunstverein experimenteller werden, an seine reiche Tradition als Labor- und Experimentierfeld der zeitgenössischen Kunst anknüpfen, versprach Boecker. Mit einem sich über mehrere Ausstellungen und Veranstaltungen erstreckenden Projekt, das sich den vielfältigen Beziehungen zwischen künstlicher Intelligenz, der Kultur und den Künsten widmen soll, will Cotton erste Akzente in Bonn setzen.

Michelle Cotton hat Kunstgeschichte am Londoner Courtauld Institute of Art und dann Anglistik und Literatur am Londoner King's College studiert, bevor sie im für Kunstförderung zuständigen Arts Council England arbeitete. Cotton hat Ausstellungen in der Norwich Gallery kuratiert, wechselte dann als Kuratorin ans S1 Artspace Sheffield (2003-2006) und organisierte dort unter anderem die erste Soloschau von Karen Black.

2009 ging sie als Stipendiatin an die vom Arts Council gegründete Londoner Produzentengalerie Cubitt, die über Ausstellungsräume, Ateliers und ein Seminarprogramm verfügt. Cotton hat dort unter anderem die viel beachtete Retrospektive über den frankoamerikanischen Filmemacher Michel Auder organisiert. Das Tableau der Cubitt-Künstler liest sich wie ein Who's Who der internationalen Kunst. Durch ihre Arbeit in der Cubitt-Galerie sammelte Cotton etwa als Netzwerkerin und Initiatorin von Partnerschaften mit anderen Institutionen und bei der Mittelbeschaffung wertvolle Erfahrungen, die ihr in Bonn nützen werden.

Gegenwärtig ist Michelle Cotton Chefkuratorin im Museum für zeitgenössische Kunst Firstsite in Glochester (Essex). Das 2011 eröffnete, 28 Millionen Pfund teure Museum ist in der britischen Presse nicht unumstritten, wiewohl der Erfolg von fast 150 000 Besuchern pro Jahr für die Institution spricht und die extravagante Architektur des Uruguayers Rafael Viñoly gelobt wird.

Von der Kritik hervorgehoben wurden Cottons Ausstellungen etwa von Steven Claydon, Anthea Hamilton, Sophie von Hellermann und Richard Hughes, eine Retrospektive von Bruce McLean und die erste Übersichtsausstellung des Design-Studios Hammer Prints von Nigel Henderson und Eduardo Paolozzi.

Neben ihrer kuratorischen Arbeit hat die Britin Filmprogramme für die Tate Modern, die Whitechapel Gallery und den Neuen Berliner Kunstverein konzipiert, Kunstkritiken für Frieze, Artforum, Texte zur Kunst und die Tageszeitung The Independent geschrieben.

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