Jazzpianist Michael Wollny im Telekom Forum Klänge aus der Wunderkammer

BONN · Geht's euch gut?", fragte Michael Wollny nach der Pause sein Publikum, bevor der Pianist mit seinem Trio wieder gegen das laute Brausen der Lüftungsanlage im Telekom Forum anspielen musste.

 Rufe aus der Nacht: Michael Wollny bei seinem Bonner Konzert.

Rufe aus der Nacht: Michael Wollny bei seinem Bonner Konzert.

Foto: Thomas Kölsch

Rhetorische Frage. Uns ging's gut. Und dem Trio offenbar auch. Denn wie lustvoll und inspiriert Wollny mit seinem bewährten Schlagzeuger, Komponisten und Impulsgeber Eric Schaefer und dem glänzenden Christian Weber am Bass interagierte, war allein schon faszinierend. Jeder für sich und alle zusammen, so funktioniert das System, in dem jeder seine Individualität ausspielt und doch bei weitestgehender kreativer Autonomie und improvisatorischer Freiheit immer eine gemeinsame Struktur kristallklar hörbar bleibt.

Das war gleich bei "Nacht", dem Eingangsstück dieses außergewöhnlichen, in Kooperation mit dem Beethovenfest präsentierten Konzerts spürbar, einer Bearbeitung des Liedes von Alban Berg. Das Original beginnt so: "Dämmern Wolken über Nacht und Thal, Nebel schweben. Wasser rauschen sacht. Nun entschleiert sich's mit einem Mal: O gieb acht! gieb acht!" Wollny lässt den Nebel schweben. Sein Spiel ist bedächtig, betont sperrig, sich wiederholende Muster bauen Spannung auf. Wer Bergs Lied von 1907 kennt, reibt sich die Ohren: Was hundert Jahre später alles möglich ist auf der Basis dieses Tonmaterials!

Ein Jazzer, der sich so intensiv mit der Klassik auseinandersetzt? Auf seiner neuen CD "Weltentraum" (ACT), die mit der "Nacht" beginnt, widmet sich Wollny dem Mittelalter-Komponisten Guillaume de Machaut ebenso wie Paul Hindemith und Edgar Varèse, Wolfgang Rihm, aber eben auch David Lynch und P!nk. Im Telekom-Forum kam noch Gustav Mahler zu Ehren, dessen erstes der "Kindertotenlieder" mit dem Titel "Nun will die Sonn' so hell aufgehn" einmal in einer Komposition Schaefers, einmal in einer von Wollny zu hören war. Berückend!

Die Bonner erlebten das, was Rainer Haarmann, Chef des Festivals JazzBaltica, meinte, als er 2010 einen Abend seines Artist in Residence mit "Wollny's Wunderkammer" überschrieb und als "musikalische Tankstelle" bezeichnete. Diese Kammer hat sich weiter gefüllt. Schaefers geniale Komposition "Phlegma Phighter", damals gespielt, ist dichter, aggressiver, noch farbiger geworden.

Wollny, zu Recht der Liebling der Preisjurys und einer der größten Jazzpianisten der Gegenwart, spielt mit Emotionen: Brütende Melancholie macht sich breit, grollend erheben sich die Dämonen, Wollny baut massive Klangwände auf, lässt sie in Momenten der Ekstase explosionsartig zerbröseln. Er haut in die Tasten, streichelt sie, kriecht halb in den Flügelkorpus hinein, um dort zu zupfen oder zu schlagen. Kaum zehn Takte lang hält eine Stimmung an, dann kommt der Wechsel. Das Faszinierende dabei: Bass und Schlagzeug halten bei diesem Trip traumwandlerisch Schritt.

Schaefer gönnt sich in der Vertonung von "In einem kühlen Grunde" ein halsbrecherisches Solo, das seine ganze Klasse unterstreicht. Weber glänzt entrückt mit sphärischen Klängen in "Rufe in der horchenden Nacht" von Hindemith. Was - als Hindemith nur sehr entfernt identifizierbar - eines der rätselhaftesten Stücke dieses sehr persönlichen Wollny-Konzerts ist. Er lässt das begeisterte Publikum an seiner Bewunderung für Joachim Kühn ("mein hero") teilhaben, zeigt sich verletzlich und zart in der wunderbaren Ballade "Be free, a way" der Rockband The Flaming Lips.

Ein aufwühlendes, tolles Konzert. Es endet mit einer Liebeserklärung an Wollnys Lieblingsschauspieler Philip Seymour Hoffman, dem er mit einem Song aus "Synecdoche, New York" ein posthumes Ständchen bringt: Das kostbare "Little Person" von Jon Brion hat in der Interpretation von Wollny alles, was eine Nummer haben muss, um den Zuhörer wie auf Engelsflügeln durch die Nacht nach Hause zu tragen.

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