Kinotipp Die Göttin des Gemetzels

Besser geht's nicht. Amy und Nick lernen sich bei einer Party in New York kennen. Beide arbeiten als Journalisten, sie sind jung, attraktiv, geistreich, wie füreinander geschaffen: ein Hauch von Clooney und Alamuddin.

 Können diese Augen lügen? Rosamund Pike als Amy Dunne.

Können diese Augen lügen? Rosamund Pike als Amy Dunne.

Foto: 20th Century Fox

Ihre Ehe hat gleichsam den Segen von ganz oben, und doch verwandelt sich ihr Leben in eine Hölle, einen Ehekrieg.

Die amerikanische Autorin Gillian Flynn erzählt in ihrem 2012 erschienenen Beststeller "Gone Girl" die Geschichte einer kolossalen Desillusionierung und ihrer katastrophalen Folgen. Sie seziert in ihrem ebenso spannenden wie literarisch anspruchsvollen Buch die Mechanismen menschlichen Zusammenlebens.

Die Autorin untersucht brutal offen und mitleidlos präzise, wie sich die glamourösen Selbstbilder, die Nick und Amy aufeinander projizieren, als Chimären entpuppen. Der Moment der Wahrheit führt zum Gemetzel; es ist vor allem psychologischer Natur. Die Ehe wird zum Gefängnis, in dem Nick und Amy gleichzeitig Wärter und Häftling sind; einer ist vielleicht sogar ein Henker.

David Fincher hat Gillian Flynns Roman werkgetreu auf die Leinwand übertragen. Die Autorin hat höchstpersönlich das Drehbuch zum Film geschrieben, der morgen ins Kino kommt.

Sie hat die spektakuläre Wendung übernommen, die den Leser im zweiten Teil des Buches überrascht - und über die zu schweigen der journalistische Anstand gebietet. Amy und Nick sind gezwungen, nach Missouri zu ziehen. Beide haben ihre Jobs in New York verloren. Jeff Cronenweths Kamera zeigt Nicks Heimat Missouri als rezessionsgeplagte Szenerie.

Eines Morgens ist Amy (Rosamund Pike) verschwunden, Indizien weisen auf eine Gewalttat hin. Schnell steht Nick (Ben Affleck) im Verdacht, seine Frau ermordet zu haben. Der anfangs merkwürdig sorglos erscheinende Nick droht im Mahlstrom von hysterisierter Öffentlichkeit, medialem Dauerbeschuss und anklagenden Spuren, die Amy hinterlassen hat, unterzugehen. Eine junge Geliebte hat er übrigens auch.

Der Film spiegelt die komplexe Struktur des Romans. Nicks und Amys subjektive Perspektiven finden eine visuelle Entsprechung. Rückblenden beleuchten ihre gemeinsamen Erfahrungen, Amys Stimme ordnet die Dinge ein. Die Frage ist nur: Erzählt sie die Wahrheit? Der Zuschauer ist wie der Leser einem Wechselbad der Gefühle und der Wahrnehmungen ausgesetzt. Er gleicht einem Spurenleser, der immer wieder neue Fährten entdeckt.

Man sieht diesen Jedermann Nick immer wieder mit anderen Augen. Versteckt sich hinter dem smarten Mann ein spießiger Langweiler, der Missouri einst verlassen hatte, aber innerlich nie richtig in New York angekommen war? Und ist Amy, "Amazing Amy", mehr als sexy, intelligent, unwiderstehlich - nämlich paranoid, rachsüchtig, manipulativ?

Fincher, der sich wie zuletzt in "The Social Network" auf emotionale, nicht physische Gewalttaten konzentriert, kann auf zwei fabelhafte Schauspieler bauen. Beide verkörpern Menschen mit dunklen Geheimnissen, die sie voreinander verbergen. Ben Affleck als Nick schlüpft scheinbar mühelos in die Rolle des Lügners, der mediale Auftritte wie ein virtuoser Bühnenkünstler absolviert.

Die Sensation des Films ist die Engländerin Rosamund Pike. Ihre Amy ist ein Bündel von Widersprüchen, "Beauty and the Beast" in einer Person: charmant und abgründig, heißblütig und eiskalt, subtil und zerstörerisch. Die Autorin Gillian Flynn liebt solche Frauenfiguren.

David Fincher ("Sieben", "Fight Club"), einer der großen Regisseure Hollywoods, hat im neuen Film einmal Gelegenheit, auf seine Expertise als Choreograph physischer Gewaltexzesse zurückzugreifen.

Seine wahre Meisterschaft besteht jedoch darin, ein fesselndes Psychodrama zu inszenieren, das der Vorlage ebenbürtig ist. Der Roman "Gone Girl" von Gillian Flynn bietet literarisches Kopfkino vom Feinsten. Der Film "Gone Girl" von David Fincher ist Hollywood mit gehobenem Anspruch. Es lohnt sich, beides zu genießen. Erst Film, dann Buch - oder umgekehrt. In jedem Fall eine klare Win-win-Situation.

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