"Revolution Jungsteinzeit": Ausstellung im LVR-Landesmuseum wird am Freitag eröffnet

Bonn · Schon vor dem LVR-Landesmuseum stimmen die Kuratoren Michael Schmauder und Simon Matzerath ihr Publikum auf die am Freitagabend eröffnete, großartige Ausstellung "Revolution Jungsteinzeit" (Neolithikum) ein.

 Mitteldevonflora von Lindlar: Rekonstruktion des rund 390 Millionen Jahre alten Waldes.

Mitteldevonflora von Lindlar: Rekonstruktion des rund 390 Millionen Jahre alten Waldes.

Foto: LVR Museum

Hier nämlich steht das "Skelett" eines Ständerbaus von stattlichen Maßen, wie ihn die ersten Bauern im Lande errichtet und mit Flechtwänden gefüllt haben.

Ihre Lebensweise und ihre Errungenschaften werden dann auf einem langen Parcours thematisiert und visualisiert. Voraussetzung ist der grundlegende Umbruch in der Menschheitsgeschichte, in der sich der Wandel vom Jäger- und Sammlertum zur Sesshaftigkeit bäuerlichen Lebens, von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaft vollzog. Auffällig sind immer wieder die mit heutigen Lebensbedingungen gezogenen Parallelen: Auch wir sind Neolithiker!

Begonnen hat dieser revolutionäre Vorgang an Orten wie dem "Göbekli Tepe" (Nabelberg) in der Südosttürkei. Folgerichtig zitieren die Kuratoren die dort ergrabenen T-Stelen als Zeugnisse der vor 11 000 Jahren gebauten Tempelanlagen. Den "Rückstand" dazu dokumentieren sie mit der 9000 v. Chr. noch von der Jäger-Sammlergesellschaft erlegten Auerochsenkuh. Es dauerte dann 4700 Jahre, bis die Innovationen der Neolithiker - Wild- zu Haustieren und Wild- zu Nutzpflanzen zu kultivieren - im heutigen Nordrhein-Westfalen ankamen und auf die "mobilen" Jäger und Sammler stießen und begannen, "sich die Erde untertan" zu machen.

Dazu schufen sie Siedlungsraum und Ackergrund, indem sie mit Dechseln (Beilen) Lichtungen in die dichten Linden-Urwälder schlugen. Mit ihrer Rodung wiederum - durch Anstieg der CO2-Werte und Bodenerosion - setzte die erste Umweltzerstörung ein. Zu sehen ist ein veritables "Warenlager" der teilweise aus Böhmen importierten und später zu Prunkbeilen entwickelten Dechsel.

Materialien wie Kupfer, Bernstein und Jadeit sprechen für überregionale Verbindungen und für die Herstellung von Prestigeobjekten: ein soziologisches Phänomen. Offenbar lag auch schon den Neolithikern daran, ihren Lebensraum farbig zu gestalten. Sie schufen so etwas wie Kunst am Bau und schmückten ihre Haustüren. Ihre keramischen Vorratsgefäße versahen sie mit allerlei linearen Ornamenten, so dass von Linien-Bandkeramik die Rede ist. Einer Karte lässt sich ihre weite Verbreitung mit dem Produktionszentrum zwischen Wien und Budapest entnehmen. Auch die Bandkeramik wird an einer Vielzahl von Mustern vorgeführt. Die ringförmig dekorierte Schnurkeramik stellt eine weitere Entwicklungsstufe dar.

In Düren-Arnoldsweiler wurde ein bandkeramisches Gräberfeld mit 229 Gräbern gefunden, das Aufschluss über jungsteinzeitliche Bestattungen erlaubt. Demnach haben die ersten Bauern ihre Toten wie schlafend, mit angehockten Beinen und zusammengelegten Händen, begraben.

An anderer Stelle, so in Schmerlecke, schufen sie Kollektivgräber. Sie stapelten die Toten nach und nach auf zwei Seiten der Grabanlage. Aus den Knochen lassen sich Rückschlüsse auf ihre Krankheiten ziehen. Die "Blätterhöhle" bei Hagen dagegen liefert nach der erforschten Ernährung der Verstorbenen den Beweis dafür, dass auch hier noch Jäger/Sammler und Bauern beisammen lebten.

Zu den Sensationsfunden zählen zweifelsfrei der Brunnen von Kückhoven und die daraus geborgenen Sieb- und Schöpfgefäße. Allein seine Grundmaße von drei mal drei Metern und zwölf Metern Tiefe wecken Bewunderung für die jungsteinzeitlichen Ingenieure, die enorme Mengen von Erdreich ausheben mussten, ehe sie das Brunnenholz in Blockbauweise schichten und mit Moos abdichten konnten. Das älteste Industriedenkmal, der Lousberg bei Aachen, bezeugt die Anfänge des Bergbaus mit einer Fülle Werkzeugen, die auf einem Quarzitblock in ihre Form geschliffen wurden.

Man mag es kaum glauben: Selbst Schriftzeichen, eine Art Bilderschrift, und das Rad zählen zu den neolithischen Erfindungen. Am Ende aber steht der berühmte Goldbecher von Fritzdorf, der in mykenischer Form in ein neues Zeitalter verweist, das allerdings als Bronzezeit die Neuerungen der Jungsteinzeit fortführt.

LVR-Landesmuseum Bonn bis 7. Februar 2016; Di-Fr und So 11-18, Sa 13-18 Uhr; Katalog: 24,95 Euro.

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