Kuppel an der Poppelsdorfer Allee Wo die Südstadt nach den Sternen griff

SÜDSTADT · Aus der Kuppel an der Poppelsdorfer Allee erkundete der Bonner Astronom Friedrich Wilhelm August Argelander das Weltall.

 Nüchterner Zweckbau: Vor 170 Jahren ging die Alte Sternwarte in Betrieb.

Nüchterner Zweckbau: Vor 170 Jahren ging die Alte Sternwarte in Betrieb.

Foto: Volker Lannert

Marie Argelander hatte einen Mann geheiratet, der nächtelang in die Sterne schaute, besessen davon, den Himmel zu vermessen und Sternpositionen kommagenau zu bestimmen. Schon die Hochzeitsreise, 1823, war für ihren Fritz nur Mittel zum Zweck gewesen, rasch die Stelle als Observator der neuen Sternwarte im finnischen Abo anzutreten. Forschen! Herkulesaufgaben lösen! Je größer die Widrigkeiten, je behelfsmäßiger die Apparaturen, umso beharrlicher verfolgte er sein Ziel.

Wieso sollte es also hier in Bonn, wo ihr Mann die Stelle des Sternwartendirektors angetreten hatte, anders sein? Im Mai 1844 war die sechsköpfige Familie in die neue Sternwarte an der Poppelsdorfer Allee gezogen. Auf eine Baustelle! Aber ihr Fritz hatte gemeint, wenn er den Bau beaufsichtigte, würde es schneller gehen. Denn schon die Planungen hatten unter keinem guten Stern gestanden.

Der Reihe nach: 1836 wurde der international anerkannte Astronomie-Professor Argelander zum Nachfolger Karl Dietrich von Münchows nach Bonn berufen. Nicht nur, dass er aus russischen wieder in preußische Dienste zurückkehren konnte. Den 37-Jährigen reizte die Aufgabe, auch in Bonn eine neue Sternwarte zu bauen. Übergangsweise zog die Familie in das Haus des Vorgängers, das einstige Gärtnerhaus der Lennés am Alten Zoll. Schon von Münchow war der Bau einer Sternwarte zugesichert worden; doch es scheiterte am Geld. Nun sollte Argelander das Projekt realisieren. Mit der für ihn typischen Energie ging er an die Planun. Der Alte Zoll, auf dem von Münchows behelfsmäßiges Observatorium stand, kam als Bauplatz nicht in Frage. Aber ein Gelände an der "Alten Sandkaule" außerhalb der Stadt, Richtung Poppelsdorf.

Argelander wollte zurück nach Finnland

Dort, allein auf weiter Flur inmitten von Kartoffel- und Rübenfeldern, könnte Argelander in Ruhe seiner Profession nachgehen. Der Schönheitsfehler: Der Eigentümer wollte partout nicht verkaufen; das Vorhaben stockte, denn auch andere Grundstücke waren umstritten. Argelanders Geduld wurde arg strapaziert. So schrieb er an den Astronomen-Kollegen und Freund Wilhelm Struve, dass er darüber nachdenke, nach Finnland zurückzugehen. "Wenn es nur hier nicht so hübsch wäre und so mitten in Deutschland und Europa." Um nicht wie sein Vorgänger zu scheitern, ließ Argelander seine Beziehungen in die höchsten Kreise Berlins spielen: Seit Kindertagen verband ihn eine Freundschaft mit den preußischen Königssöhnen. Sie sollten ein Machtwort sprechen und die Sache beschleunigen.

Doch es vergingen noch zwei Jahre, bis die Grundstücksfrage endlich entschieden war: Argelander durfte auf seinem favorisierten Areal an der Poppelsdorfer Allee bauen. Es folgten weitere zeitraubende Pannen, bis Familie Argelander 1844 nach achtjähriger Wartezeit in das unfertige Gebäude zog. Sie bewohnte die Beletage im ersten Stock. Im Souterrain lagen Küche und Keller, im Hochparterre Auditorium und Bibliothek und obendrauf die Beoachtungskuppel.

Keine offizielle Einweihung

Eine offizielle Einweihung der Sternwarte gab es nie. Der Jugendfreund König Friedrich Wilhelm IV. besuchte Argelander am 10. August 1845 im Rahmen der Einweihung des Beethoven-Denkmals auf dem Münsterplatz an der Poppelsdorfer Allee. Das Ereignis gilt als Gründungstag der Bonner Sternwarte. Heute, 170 Jahre später, hat sich das Gebäude kaum verändert. Zeiten und Sanierer waren gnädig. So trägt Bonns erste Sternwarte annähernd unverfälscht die Handschrift ihres Begründers Argelander sowie des Bonner Universitätsbaumeisters Peter Josef Leydel und des Berliner Architekten Karl Friedrich Schinkel. Von außen ein nüchterner zweigeschossiger Zweckbau aus Ziegeln mit der funktionellen Anmutung einer Fabrik. Der Grundriss orientiert sich an den Himmelsrichtungen, nicht am Verlauf der Poppelsdorfer Allee. Daher liegt die Sternwarte verborgen innerhalb der später entstandenen Blockbebauung.

Tritt man durch den Haupteingang in das Gebäude, fällt die kunstvoll verzierte, gusseiserne Wendeltreppe ins Auge. Frau Argelander und die vier Kinder sind diese Treppe jeden Tag hinauf- und hinuntergestiegen, ihr Mann Fritz mit Sicherheit auch des Nachts. Denn ab 1852 setzte er seinen "Plan einer vollständigen Bestimmung sämtlicher Sterne, die bei uns sichtbar sind, um sie immer wieder finden zu können", also eine Durchmusterung, in die Tat um.

Nacht für Nacht verbrachten Argelander und einer seiner Gehilfen oben in der Sternwarte. Der eine saß im Stockfinstern unter der Drehkuppel am Fernrohr. Ein Stockwerk tiefer der andere im Kerzenschein, die Uhr im Blick. Auf Zuruf des Beobachters hatte er augenblicklich die Zeit abzulesen und einzutragen. Das sicherte die Genauigkeit der Messungen.

324.198 Adressen von Sternen

Im März 1859 war die Durchmusterung beendet und die Adressen von 324.198 Sternen, ihre Größe, Lichtstärke und Position notiert. Dazu waren über eine Million Beobachtungen notwendig. Bis 1863 wurde am Erscheinen des Werks gearbeitet. Bis heute begründet die "Bonner Durchmusterung" Argelanders Weltruhm. Die Instrumente, mit denen er und seine Gehilfen die Arbeit geleistet haben, sind teils sogar noch erhalten.

Michael Geffert vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Sammlung historischer Himmelsaufnahmen. Mit Argelander hat er sich intensiv beschäftigt: "Er war lebenslustig, ein Familienmensch. Vermutlich hatte er oft Gäste in der Sternwarte, sicher auch Ernst Moritz Arndt. Es gab Wein und Rebhühner. Andererseits war er besessen von der Arbeit. Als Kaufmannssohn dachte er pragmatisch und entwickelte eine so einfache wie geniale Methode, den Sternenhimmel zu systematisieren." So trieb Argelander noch als 76-Jähriger seine Projekte voran, bis er am 17. Februar 1875 nach kurzer Krankheit starb. Seine Sternwarte diente bis nach dem 2. Weltkrieg astronomischen Forschungen. Unterdessen war die Stadt gewachsen; Dunst und Licht machten das Beobachten schwer. Die Astronomen zogen 1973 auf den Hügel in Endenich. Seit 1974 ist das Institut für Medienwissenschaften in der Alten Sternwarte untergebracht.

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