Rundgang über das Arkema-Gelände Der schroffe Charme der Industrie

BONN · Sonnenlicht wirft geometrische Schatten durchs Fenster, Staub formt fluoreszierende Leuchtsäulen, abgeblätterte Putzreste bilden weiße Kleckse auf dem fleckigen Boden, auf dem stumpfe Abdrücke davon zeugen, wo einst die Labortische gestanden haben müssen.

Verzinkte Rohre enden unvermittelt im Raum, Kabelstränge hängen an Decken und ragen aus Wänden und Boden heraus. Das Periodensystem der Elemente hat man hängen lassen - und die Jahresübersicht von 2005. Hier im sogenannten Laborhaus arbeiteten früher Dutzende Menschen, dort standen Kolben und Fläschchen.

Als Arkema das Werk an der Siemensstraße Mitte 2009 schloss, arbeiteten zuletzt 83 Mitarbeiter im Bonner Werk. Früher gehörte die Produktion von Heizschmelzklebern für die Textil-, Automobil- und Elektronikindustrie zu Atofina. Karl Plate hatte das Traditionsunternehmen unter dem Namen Dr. Plate Chemische Fabrik GmbH im Jahr 1947 gegründet. Zu den Blütezeiten des Unternehmens waren 600 Menschen an der Siemensstraße beschäftigt.

Jetzt steht das gut 60 000 Quadratmeter große Areal leer. Na ja, fast. Gebäude C1 beherbergt künstlerisch-kreatives Potenzial. Der Fachbereich Kunstpädagogik und Therapie der Alfterer Alanushochschule hat sich dort eingerichtet. Skizzen und Notizen an den Wänden, Farbdosen- und gläser, Heerscharen von Pinseln und Stiften neben Staffeleien.

Harald Hoppe, Bildhauer und studentische Hilfskraft, räumt gerade mit Praktikantin Mathilde Sauerland auf. "Total cool" findet er's hier. Eine ungewöhnliche Atmosphäre herrsche auf dem Gelände zwischen all den unterschiedlichen industriellen Gebäuden. Das rege die Künstler an. Der Fantasie, was alles auf dem Gelände geschehen könne, seien ja wohl kaum Grenzen gesetzt, schwärmt er.

Stadtplaner Hermann Ulrich, der die planerischen Voraussetzungen für die Entwicklung des Areals schaffen soll, lächelt und nickt. Wenn es nach den Investoren geht, soll genau das hier realisiert werden: Ein gesunder Mix von Wohnen, Dienstleistung, Handwerk, Kultur und kreativer Szene könnte auf dem Areal zwischen Endenich und Dransdorf ein außergewöhnliches Quartier bilden. Vor allem das aus braunen Backsteinen errichtete Laborhaus, das gleich hinter der Einfahrt jede Aufmerksamkeit auf sich zieht, könnte zur Adressbildung beitragen.

[kein Linktext vorhanden]"Etliche Gebäude müssen wohl abgerissen werden", sagt Ulrich. Aber das Laborhaus könnte so etwas wie ein zentraler Punkt des Areals werden. Innen müsste es wohl entkernt werden. "Daraus lässt sich sicher etwas sehr Attraktives machen", meint er beim Rundgang über das Gelände. Das Direktorenzimmer erkennt man gleich an der dick gepolsterten Tür und der schicken Nussbaumschrankwand. Hinter einer Klapptür kommt ein Handwaschbecken zum Vorschein, und im Vorzimmer hängen noch die orangefarbenen Vorhänge.

Überall im Gebäude kleben Aufkleber mit Fischmotiven. Reminiszenz an vergessene Tage. Fabrikgründer Karl Plate war ein Tüftler und Erfinder. Er brachte 1950 den ersten Kunststoff-Reißverschluss zur weltweiten Serienreife. 1949 meldete er als einer der ersten Firmen eine monofile, also einfädige, Kunststoff-Angelschnur in verschiedenen Stärken zum Patent an. Platil, schwärmen Angler noch heute, leitete die anglerische Moderne ein. Ebenso Rollen und Kunstköder im Programm, wie der"AL-Blinker", ein schlankeres Modell der Schrader-Koppe. Plates Heizschmelzkleber "Platamid" gilt nach wie vor als Weltmarktführer.

Schräg gegenüber dem Laborhaus steht ein flacherer Bau, ein Schild weist auf den Weg in die Kantine. Doch dort, so Ulrich, sei alles so verschimmelt, dass der Bau nicht erhaltenswert sei. Dafür gegenüber das Gebäude C4. Die vermooste Fußmatte hat nichts zu bedeuten, das 2500 Quadratmeter große dreigeschossige Gebäude ist großzügig geschnitten. Die freitragende Struktur des Gebäudes ließe sicherlich viele Möglichkeiten zu. "Controlling/Buchhaltung" steht an den Türen der Büros mit Nadelfilzboden.

Am äußeren Ende des Geländes, gleich neben einer weiten offenen Grünfläche,steht das sogenannte Silohaus. Ein Gebäude wie eine Trutzburg. Kompakt, funktional. Reinster, grauer Stahlbeton mit Reihen von Fenstern. Innen protzt die Kraft eines Parkhauses. 1000 Kilo pro Quadratmeter hält die Statik aus. Die Decken zwischen 3,50 und zwölf Meter hoch. Patronenhülsen liegen um das Gebäude herum. Der ungewöhnliche Charme hat noch andere angezogen. "Alarm für Cobra 11" hat hier Actionszenen gedreht. Der Bau ist auf jeden Fall eine Herausforderung für findige Architekten.

Das Werk

Der Niedergang des Werks an der Siemensstraße begann Anfang der 1990er Jahre. Teile des Betriebs wurden verkauft, verlagert oder geschlossen: Die Produktion von Kunststoff-Angelschnüren 1993, die Lackproduktion 1996 und die Folienproduktion 1998. Ende 2007 wurde dann die Pulverproduktion dicht gemacht, Mitte 2009 dann mit der Schließung des Polymerisationsbetriebs der Rest. Bevor der französische Chemiekonzern Arkema das Werk übernahm, gehörte es zu Atofina. Karl Plate hatte das Unternehmen unter dem Namen Dr. Plate Chemische Fabrik GmbH im Jahr 1947 gegründet.

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