Protestaktion in der Innenstadt 300 Menschen demonstrierten gegen Bahnlärm

BONN · Stephan Martin wohnt in Königswinter-Niederdollendorf direkt am Bahnhof. "Tagsüber kann ich mich nicht einfach mit meinem Nachbarn vor dem Haus unterhalten - es ist zu laut."

 "Bahnlärm macht krank": Mit Bannern demonstrieren Lärmgeplagte in der Bonner City.

"Bahnlärm macht krank": Mit Bannern demonstrieren Lärmgeplagte in der Bonner City.

Foto: Horst Müller

Und die beiden Söhne, Adrian (4) und Leandro (2), werden nachts oft von Lärm und Erschütterungen wach. Die Familie protestiert seit Jahren gegen den Schienenlärm. So auch am Samstag in Bonn.

Rund 300 Menschen aus Bonn, dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Mittelrheintal sind am Nachmittag vom Hauptbahnhof zum Markt gezogen, um gegen Bahnlärm zu demonstrieren - deutlich weniger also als bei der ersten großen Demo gegen Bahnlärm in Bonn im April 2013. Damals waren rund 1000 Menschen auf die Straße gegangen. Unterstützt wurden sie am Samstag von Politikern aus der Region.

"Dass wir hier überhaupt noch stehen müssen, ist eine Schande", sagte Franz Breitenbach, Vorsitzender der Interessengemeinschaft "Schutz gegen Bahnlärm und Erschütterungen", die zur Demonstration aufgerufen hatte, bei der Kundgebung vor dem Alten Rathaus, wo die Demonstranten von Gabriele Klingmüller, Stellvertreterin von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, begrüßt wurden. Breitenbach warf der Bahn vor, nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu planen und die "Menschenrechte der Gleisanrainer" zu vernachlässigen.

Dass die Pläne der Bundesregierung, durch Umrüstung auf sogenannte Flüsterbremsen bis 2020 den Schienenlärm zu reduzieren (siehe Infokasten), ausreichen werden, glaubt auch Thomas Griese, Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Umweltministerium, nicht. "Wir fordern vom Bund verbindliche Lärmobergrenzen." Außerdem müsse der Lärm regelmäßig gemessen und nächtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen im Mittelrheintal eingeführt werden.

Rund 220 Züge verkehren nach den Angaben der Bahn täglich auf der rechten Seite des Rheins, die Teil der Hauptverkehrsachse Rotterdam-Genua ist; 200 sind es am gegenüberliegenden Ufer. Die Bürgerinitiativen befürchten, dass mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 der Verkehr noch zunimmt. Die Umrüstung müsse möglichst schnell Standard werden, forderte Sebastian Schuster (CDU), Landrat des Rhein-Sieg-Kreises.

Zudem müsse über Alternativstrecken nachgedacht werden. Es sei eine Katastrophe, dass nachgewiesenermaßen Kinder, die an den Schienen aufwachsen, sich schlechter konzentrieren und lernen könnten, ergänzte die NRW-Landtagsabgeordnete Renate Hendricks (SPD).

Auch dem CDU-Bundestagsabgeordneten Norbert Röttgen gehen die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug. Ein Großprojekt wie der Westerwald-Taunus-Tunnel, den wie berichtet der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch ins Gespräch gebracht hat, dürfe nicht als Utopie abgetan, sondern müsse angegangen werden, waren sich Röttgen und Breitenbach einig.

Die Deutsche Bahn sei in regem Austausch mit allen Bürgerinitiativen, sagte ein Bahnsprecher auf GA-Anfrage. Im Mittelrheintal gebe es schließlich sogar einen Beirat, in dem Bahn, Bürgerinitiativen, Politiker und das Verkehrsministerium gemeinsam sitzen. "Natürlich kann nicht immer alles erreicht werden, was die Betroffen sich wünschen." Die Bonner Demonstration wollte er nicht kommentieren.

Bis 2020 soll der Geräuschpegel um die Hälfte reduziert werden

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD festgeschrieben, den Schienenlärm bis 2020 zu halbieren. "Dieses Ziel der Bundesregierung unterstützt die Deutsche Bahn und hat es sich auch selbst gesetzt", sagte ein Bahnsprecher dem GA.

Um dieses Ziel zu erreichen, gebe es zwei Wege: Zum einen sollen Einrichtungen wie Lärmschutzwände Abhilfe schaffen, zum anderen die Güterzüge umgerüstet werden. Durch sogenannte Flüsterbremsen, also Bremssohlen aus Kohlenverbundstoff, die verhindern, dass die Laufflächen der Räder aufgeraut werden, könne der Lärm um bis zu zehn Dezibel gesenkt werden, was in der Wahrnehmung einer Halbierung des Lärms gleichkomme.

180.000 Güterzüge sind laut Bahn in Deutschland unterwegs, nur 60.000 davon werden von der DB betrieben. Bislang würden 11.000 dieser Wagen leise fahren, so der Sprecher. Bis Ende 2014 sollen es 16.000, bis 2020 alle sein. Der Bund fördert die Umrüstung mit 152 Millionen Euro.

Zudem sind die Trassenpreise seit 2013 lärmabhängig. Zusätzlich, so steht es im Vertrag, will die Koalition auf europäischer Ebene die Initiative für ein EU-weites Einsatzverbot für laute Güterwagen ab 2020 und für ein EU-Programm zur Förderung der Umrüstung ergreifen.

Die Bundesregierung will sich 2016 anschauen, wie der Stand der Umrüstung ist. Sollten bis dahin nicht die Hälfte aller Güterwagen mit Flüsterbremsen ausgestattet sein, droht die Bundesregierung mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen - beispielsweise mit Nachtfahrverbot.

Dieses Vorhaben kritisiert der Bahnsprecher: "Betriebliche Einschränkungen sind der falsche Weg." Dadurch würde es zu Kollisionen mit dem Personenverkehr und zur Verlagerung des Gütertransportes auf die Straße kommen, woran keiner ein Interesse haben könne.

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