LVR-Klinik in Bonn 130 Jahre Psychiatriegeschichte im Museum

BONN · Der Blick in Raum 8 des neu eröffneten Psychiatriemuseums "Ver-rückte Zeiten" in der LVR-Klinik lässt dem Besucher das Blut in den Adern gefrieren: Schreibtisch und Karteikästen aus den 1940er Jahren sind akkurat aufgeräumt. Und auf der Schreibmaschine wurden viele der Aufträge zur Zwangssterilisation von 4000 psychisch kranken Bonnern getippt.

 Eröffnung des Psychiatriemuseums in der Bonner LVR-Klinik: Leiterin Linda Orth (rechts) führt die Besucher durch die Ausstellung, die einen Einblick gibt in 130 Jahre Geschichte der Psychiatrie.

Eröffnung des Psychiatriemuseums in der Bonner LVR-Klinik: Leiterin Linda Orth (rechts) führt die Besucher durch die Ausstellung, die einen Einblick gibt in 130 Jahre Geschichte der Psychiatrie.

Foto: Barbara Frommann

Und danach, als nächster Schritt des Nazi-Terrorrs, die Bescheide zur Abholung von Hunderten Patienten in die Todeskliniken. An der Wand hängen Fotos, etwa vom Bus der "Gemeinnützigen Krankentransport GmbH": Der schleuste 1944 auch die kleine Elly Ortmanns ins Euthanasieprogramm.

Die spastisch erkrankte Vierjährige war von ihrer Mutter nur übergangsweise in die Klinik gebracht worden, nachdem ein Bombenangriff die Wohnung zerstört hatte, liest man in der Krankenakte.

13 Tage später starb Elly mit 19 anderen Bonner Kindern den Gifttod. Ein Foto des für Elly heute gelegten Stolpersteins hängt an der Wand. Und die Schilderung einer damaligen Klinikschwester, die die Todgeweihten in den Bus steigen sah. "Wir fahren in den Urlaub", hätten die Kinder noch winkend gerufen.

Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Professor Markus Banger, Ärztlicher Direktor der LVR-Klinik Bonn, betonte denn auch bei der Einweihung des Museums, dass die Psychiatrie in jedem Fall den Menschen in den Mittelpunkt stellen müsse. "Auch in wirtschaftlich schweren Zeiten dürfen wir den Weg der humanen Psychiatrie nie verlassen."

Denn wie die Ausstellung zeige, hätten Ärzte auch dieser Klinik im Nationalsozialismus den Abtransport von Patienten befürwortet und sie als Ballastexistenzen in den Tod geschickt.

"Wir stellen uns unserer Geschichte. Unser Museum leistet in der Aufarbeitung einen wichtigen Beitrag zum Innenleben der Klinik und macht für die Öffentlichkeit 130 Jahre Psychiatriegeschichte erlebbar."

Hier seien erstmals die bislang in verschiedenen Klinikhäusern verteilten Exponate sowie neue Ausstellungsstücke an einem Ort versammelt. Entstanden sei so in neun Räumen eine umfangreiche und einzigartige psychiatriehistorische Sammlung, die Exponate, Dokumente sowie Bild- und Filmmaterialien aus der Zeit von 1882 bis heute zeige.

Banger dankte Museumsleiterin Linda Orth und dem Arbeitskreis Psychiatriegeschichte Bonn, die die Ausstellung hauptsächlich ehrenamtlich zusammengestellt hätten und nun mit Hilfe von LVR-Geldern professionell präsentierten.

Die Objekte sprechen für sich

Das Museum "Ver-rückte Zeiten" zeichne sich besonders dadurch aus, dass die Objekte selbst für sich sprechen könnten, lobte Milena Karabaic, LVR-Dezernentin Kultur und Landschaftliche Kulturpflege. In den Ausstellungsräumen sei fast durchweg ohne Schaukästen und ohne lange Erläuterungen gearbeitet worden. "Hier beleuchten wir auch die dunkelsten Kapitel der Psychiatriegeschichte. Und jeder kann am authentischen Ort selbst seine Bezüge zur Gegenwart herstellen", so Karabaic.

Museumsleiterin Orth erinnerte an die Anfänge des Sammelns: Als 1979 der Klinikneubau her musste, hätten sie und andere Engagierte viele der Exponate noch heimlich aus den Containern gefischt. "Umso glücklicher bin ich, dass wir heute alles Gesammelte an einem Ort vereinen konnten."

Das Museum ist im Haus 15 der Fachklinik für psychiatrische Erkrankungen, Kaiser-Karl-Ring 20, zu finden. Öffnungszeiten sind dienstags und freitags zwischen 11 und 14 Uhr oder nach telefonischer Anmeldung unter 0228/5513032. Führungen für Schulklassen, Gruppen und Einzelpersonen sind nach Absprache möglich. Kontakt per Mail an l.orth@lvr.de

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