Neonazi-Aufmarsch in Bonn Mehrere Tausend Gegendemonstranten - Gewaltausbrüche blieben aus

BONN · Ohne die befürchteten Gewaltausbrüche ist am Dienstag ein Aufmarsch von rund 200 Neonazis in Beuel zu Ende gegangen. Die Polizei ließ sie vom Bahnhof lediglich auf der Goetheallee bis zur Ecke Auf der Schleide und zurück marschieren - eine Strecke von rund 500 Metern.

Tausende Gegendemonstranten protestierten lautstark an den Absperrungen der Nebenstraßen. Ein Neonazi und eine Gegendemonstrantin wurden festgenommen. Zwischen der Verdi-Jugend und der Polizei könnte der Demo-Tag noch ein juristisches Nachspiel haben.

Die Neonazis, die laut ihrer Transparente unter anderem aus Unna und Hamm stammten, waren gegen 12.15 Uhr am weiträumig abgeriegelten Beueler Bahnhof eingetroffen. In den Stunden zuvor hatten Gegendemonstranten mehrfach versucht, auf die Goetheallee zu gelangen, um den späteren Zugweg zu blockieren.

Gegen 10.40 Uhr wollten rund 400 Teilnehmer am Beueler Hallenbad durchbrechen. Allerdings mit wenig Erfolg. Die Polizei blockierte den Durchgang rechts der Beueler Bütt und setzte dabei auch Pfefferspray ein. „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ skandierten die Protestler.

Fast zeitgleich gelangte eine andere Gruppe auf die Goetheallee und setzte sich dort auf die Fahrbahn. Nachdem die Polizei sie dreimal aufgefordert hatte, den Ort zu verlassen, wurden die 14 Personen (zwischen 16 und 30 Jahren) von Beamten weggetragen. Nachdem ihre Personalien festgestellt worden waren, durften sie gehen.

[kein Linktext vorhanden]Eine weitere Gruppe, darunter auch Anhänger der radikalen Antifa-Szene, verschaffte sich Zugang zum Vorgarten eines Wohnhauses an der Goetheallee - und wurde dort von der Polizei umstellt.

Sitzblockade auch direkt neben dem Bahnhof an der Haltestelle der Linie 62: Dort hockten 50 bis 60 Gegendemonstranten, wurden von der Polizei aber zunächst geduldet. Einen Steinwurf entfernt, an der Ecke Obere Wilhelmstraße, hatten die Teilnehmer der Verdi-Kundgebung Position bezogen. Auch dort setzte die Polizei gegen 12 Uhr Pfefferspray ein; mehrere Jugendliche mussten sich mit verätzten Augen von Sanitätern behandeln lassen.

Darunter Dario (17) aus Bonn: „Ich stand mit meinem Kumpel in der dritten oder vierten Reihe“, erzählte er dem GA. „Völlig friedlich. Die Anzahl der offensichtlich gewaltbereiten Gegendemonstranten um mich herum hat dann zugenommen. Dann gab es Druck von hinten in Richtung Absperrung. Gegen den Druck konnte ich mich nicht wehren. Die Polizei hat dann ohne Vorwarnung Pfefferspray eingesetzt.“ Die Polizei erklärte dazu am Abend, „aggressive Störer“ hätten versucht, auf das Gleisbett der Bundesbahn zu kommen.

[kein Linktext vorhanden]Als die Neonazis ihre Demonstration begannen, begleitete sie lautstarker Protest von einigen Dutzend Anwohnern der Goetheallee: Sie beschallten die Rechtsextremisten mit Karnevalsmusik, bliesen in rote Trillerpfeifen und schlugen mit Löffeln auf Kochgeschirr. Gegen 13.30 Uhr nahm die Polizei eine Gegendemonstrantin fest, die zwei Steine auf die Neonazis geworfen haben soll.

Auf der Kreuzung Goetheallee und Auf der Schleide hielten die Neonazis eine Kundgebung ab. Von drei Seiten durften die Gegendemonstranten bis auf etwa 80 Meter heran. „Haut ab!“ skandierten sie hinter den Polizeiketten. Als einer der Neonazis provozierend seine SS-Runen-Tätowierung zeigte, griffen die Beamten sofort zu und nahmen den Mann fest. Gegen 15 Uhr war der Spuk vorbei: Die Neonazis kehrten zum Bahnhof zurück, den sie kurz darauf mit einem Zug in Richtung Köln verließen.

Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa und der Gesamteinsatzleiter Helmut Pfau zogen eine „insgesamt positive Bilanz“. Das Konzept, die unterschiedlichen Gruppierungen zu trennen, sei aufgegangen. Da der Zugweg der Neonazis nach einem Verwaltungsgerichtsurteil vom Montag verkürzt werden musste, hatten mehrere Anmelder von Mahnwachen und Gegenkundgebungen beantragt, näher an den neuen Zugweg zu dürfen.

[kein Linktext vorhanden]„Wir sind dem nachgekommen, denn wir wollten den friedfertigen bürgerlichen Protest ermöglichen. Allerdings erwies sich die schon im Vorfeld der Demonstrationsanmeldungen getroffene Lageeinschätzung, sich konsequent für eine räumliche Trennung der Gruppierungen zu entscheiden, als richtig“, so Polizeipräsidentin Brohl-Sowa. Nach GA-Informationen waren etwa 2000 Beamte im Einsatz.

Der Verdi-Jugend warf die Polizei vor, Auflagen der Behörde missachtet zu haben. Die Teilnehmer hatten sich auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt und waren der Aufforderung nicht gefolgt, sich auf der Rückseite des Bahnhofs aufzustellen. Dem Verdi-Anmelder Simon Ernst wurde eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht angedroht. Der aber sieht sich nach dem Verwaltungsgerichtsbeschluss im Recht. Die Verdi-Jugend hatte ihre Kundgebung schon vor Wochen angemeldet. Ernst zeigte sich begeistert von der Resonanz der Gegendemos unter den Bonnern: „Wir sind überwältigt.“

[kein Linktext vorhanden]Zufrieden äußerte sich auch Mani Stenner, Sprecher des Bündnisses „Bonn stellt sich quer“: „Die Bonner und die Anwohner auf der Goetheallee haben gezeigt, wie bunt die Stadt ist.“ Es sei eine Fehleinschätzung der Polizei gewesen, „dass gewalttätige Linksautonome nach Bonn kommen. Es war eine bunte, friedliche Demo.“ Den Einsatz der Polizei bewertete Stenner differenziert: „Die Mittel, die zur Auflösung der Sitzblockaden angewendet wurden, waren verhältnismäßig; der Einsatz des Pfeffersprays, weil ein paar Demonstranten an den Absperrgittern gerüttelt haben, dagegen nicht.“

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