Vortrag in Beuel Flucht ins Ungewisse

BEUEL · Die Historikerin Ruth Schlette erinnert an den Beueler Juden Max Weis, den „Arzt der Armen“. 1939 nahm er ein Schiff Richtung Kuba, landete aber letztlich in England.

 Weihnachten 1914: Max Weis (im hellen Uniformmantel) war zu dieser Zeit Stabsarzt in Vilich.

Weihnachten 1914: Max Weis (im hellen Uniformmantel) war zu dieser Zeit Stabsarzt in Vilich.

Foto: Ruth Schlette

Sie sind „das Kostbarste“, was Historikerin Ruth Schlette im Gedenken an die Beueler Arztfamilie Weis wie ihren Augapfel hütet: die beiden englischsprachigen Briefe an die liebe Mrs. Joseph im US-amerikanischen Philadelphia, 1948 im englischen Exil in Hospens/Cardiff verfasst. Auf den ersten Blick geht es den Briefschreibern Max und Bella Weis um die Versicherung „alter Freundschaft“ und die Erleichterung, die Hölle des Dritten Reiches überlebt zu haben und nun in einem friedlichen Land sein zu dürfen, „aber wir haben unseren Sohn verloren, das heißt, wir haben keine Zukunft“.

„Den Nazis entkommen, in der Fremde gestorben – Dr. Max Weis, Arzt in Beuel von 1906 bis 1938“ ist der Titel eines Vortrags von Ruth Schlette am Donnerstag, 30. Juni, 19.30 Uhr, im Mehlemschen Haus, Rheinaustraße 131.

Das Ehepaar Weis hatte die Leidensgenossin Lilly Joseph und deren Tochter Lisl 1939 auf ihrer dramatischen Flucht aus Nazi-Deutschland kennengelernt. Als Juden hatten sie und 926 andere Todgeweihte sich auf das Schiff „St. Louis“ retten können, das Kurs auf Kuba nahm, wo sie ebenso wie in den US-amerikanischen Häfen nicht landen durften.

„Refugees Denied“, also „Flüchtlinge verweigert“, zitiert Ruth Schlette einen Buchtitel über die traurige Fahrt der „St. Louis“, die, als der Holocaust in Europa wütete, wieder zurück nach Hamburg fahren musste. Weil US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit seinem Plan gescheitert war, die Staaten zur Aufnahme von Juden zu bewegen. „Diese beklemmende Aktualität, Flucht ins Ungewisse – damals, heute, die Abwehr der Geflüchteten in den Zufluchtsländern, all das ist Anstoß für mich, erneut über Max Weis zu berichten“, sagt die 83-jährige Schlette.

Sie spricht bei ihrem Vortrag über den Mann, dessen Vermittlungsgeschick es 1939 mit zu verdanken war, dass sich auf der „St. Louis“ kurz vor Hamburg noch Asylländer für die Verzweifelten fanden: für das Ehepaar Weis und die Josephs anfangs England.

„Das Kostbarste“, die Weis-Briefe an Lilly Joseph von 1948, sind ein Geschenk von Lillys Tochter Lisl Joseph Loeb an Ruth Schlette. Schlette hat sich innerhalb der Beueler Initiative gegen Fremdenhass für das Gedenken an den außergewöhnlichen Arzt und Menschen Max Weis schon mehrfach eingesetzt: Doktor-Weis-Platz heißen seit ein paar Jahren sowohl Kreuzung als auch Haltestelle an der Friedrich-Breuer-, Kreuz- und Oberen Wilhelmstraße.

„Ja, Erinnern gegen Ausgrenzung – genau das schwebte uns 1992 vor, als wir auf der Suche nach Antworten auf die Anschläge auf Asylbewerberheime die Initiative gründeten“, erzählt Schlette. Zwischen dem Fremdenhass heute und der Judenverfolgung im Dritten Reich sehe sie auch jetzt eine Verbindung. „Wider das Vergessen“ müsse man auch heute eintreten.

Was Schlette mit dem Abend über Max Weis nun erneut tut. Weis, Mitglied des Beueler Gemeinderats, der im Ersten Weltkrieg noch ganz selbstverständlich als Stabsarzt im Adelheidis-Stift in Vilich geschätzt und danach in seiner Praxis in der Friedrich-Breuer-Straße 34 als „Arzt der Armen“ geehrt wurde, war nach 1933 immer mehr entrechtet und 1938 plötzlich ins KZ Dachau verschleppt worden. Kahlgeschoren und entehrt kam Max Weis zurück. Dem hoch geschätzten Beueler Bürger blieb nur noch die Flucht. „Mein Vortrag ist der Versuch, das gerade heute noch einmal zu vermitteln“, sagt Schlette.

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