Bei laufender Waschmaschine vibriert der Boden

Die Schausteller von Pützchens Markt übernachten in rollenden Eigenheimen - Die Seitenwände vieler Wohnwagen lassen sich ausfahren

  Im Mercedes-Mobil  leben derzeit Brigitte, Enkel Florian und Franz-Rainer Liebe. Eher funktional eingerichtet, will Brigitte Liebe auf ihre Balkonpflanzen nicht verzichten.

Im Mercedes-Mobil leben derzeit Brigitte, Enkel Florian und Franz-Rainer Liebe. Eher funktional eingerichtet, will Brigitte Liebe auf ihre Balkonpflanzen nicht verzichten.

Pützchen. Früher Morgen, die Sonne scheint. In den Wohnwagenfenstern hängen die Plumeaus zum Lüften. Eine junge Frau mit noch leicht verschlafenen Augen zieht mit ihrem Einkaufswägelchen ins Dorf. Bohrmaschinen surren, zwei Männer ziehen gerade die Plane über Marios Labyrinth.

Auf Pützchens Markt liegen Vergnügen und Arbeit dicht beieinander. Und Wohnen. Hinter all den Karussells und Buden sind die rollenden Eigenheime ab Freitag kaum noch zu sehen. Die Schausteller machen es sich gemütlich - so gut es geht.

Schon seit zwei Wochen leben Peter und Ulla Barth (beide 41) auf dem Kirmesplatz. Über eine kleine Treppe am Buchsbaum vorbei geht es in ihr Raumwunder im altdeutschen Stil. Auf 52 Quadratmetern ist alles untergebracht: Ölzentralheizung, Klimaanlage, Sat-TV, fließend Kalt- und Warmwasser, Toilette, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer sowie eine Einbauküche. "Das ist ein komplettes Haus auf Rädern", sagt Ulla Barth.

Plötzlich vibriert der Boden: Die Waschmaschine schleudert. Kein Wunder. "Der Wagen ist 14 Meter lang, davon sind zehn Meter frei tragend", erklärt Peter Barth zum 20 Jahre alten Mack-Fabrikat. Solche gelten als Rolls-Royce unter den Wohnwagen. Und bei dieser Freiburger Firma haben die Barths auch ihre Südseewellen gekauft. Die Wildwasserbahn stammt ebenfalls von Mack.

Auf der Straße ist der Wagen 2,50 Meter breit. Auf der Kirmes werden dann noch die Seitenteile ausgefahren, was links und rechts nochmal 1,20 Meter ausmacht. Beim Umzug muss Ulla Barth den Teppich einrollen, die Tische hochstellen, Lampen, Bilder und das Geschirr aus dem dunkelbraunen massiven Mahagonischrank wegräumen und verpacken. "Bei mir geht das schnell." In einer Stunde ist alles erledigt.

Schausteller kampieren nicht, sie leben in ihren Wohnwagen. Die Barths zum Beispiel neun Monate im Jahr. "Im Frühjahr, wenn die Sonne scheint, kribbelt es im Bauch", sagt Ulla Barth. Dann will sie raus. Die Familie - dazu gehören die Söhne Peter (18) und Günter (14) - lebt im Winter auch für einige Zeit im Euskirchener Lager, sonst an der Beueler Rhenusallee.

"In der Regel gibt es hinter dem Geschäft auch Platz für den Wohnwagen", sagt Peter Barth. "Doch das funktioniert nicht überall." So haben sich einige Schausteller über die Jahre eine Art Gewohnheitsrecht erworben, an Pützchens Markt mitten auf dem Platz zu stehen: etwa Uwe Hölzgen, der neben seinem Bayern-Zelt, oder Willi Kipp, der hinter dem Riesenrad, und Hubert Markmann, der an seinem Mario-Labyrinth schläft. Viele Beschicker müssen aber auf einem Platz in der Nähe der Jugendfarm übernachten.

Während der Kirmestage kommen die Barths nicht vor 5 Uhr morgens ins Bett, um 8.30 Uhr geht''s schon wieder raus. Dazu der ganze Krach: "Den hören wir gar nicht mehr", versichert die 41-Jährige. Das geht schon so weit, dass der eine Sohn im Internat eine Kassette für den Walkman brauchte, weil er vor lauter Ruhe nicht einschlafen konnte.

Vor der Tür bellt Hund Max und wetzt durch die Tür. "Der kommt zum Frühstücken", sagt Ulla Barth, die ihm immer ein Stück Fleischwurst gibt. Im Wagen nebenan kocht Nadine Löwenthal (23) für die 22 Mann von der Wildwasserbahn. Gulasch mit Nudeln steht auf dem Speiseplan. "Das Kochen hat sie von ihrer Mutter", sagt Vater Joachim (49), der sich noch an den leckeren Apfelkuchen vom Tag zuvor erinnert. Er wohnt allein in seinem Wohnwagen, weil seine Frau derzeit in einem Freizeitpark in Bad Wörrishofen arbeitet.

Die beiden sehen sich alle 14 Tage. Löwenthal liebt auch Sylt. Deshalb hat er seinen Mack-Wohnwagen von 1978 ganz in Weiß und Blau gestaltet. Zur Einrichtung gehören Büro, Küche, Bad und Schlafzimmer. Im Bürcherregal des gemütlichen Wohnzimmers stehen Krimis von John le Carré, ein Bildband "Hundertwasser-Architektur" und die Geschichte Europas. Löwenthal hält es ganz gut im Wohnwagen aus, doch jetzt zum Saisonschluss "bin ich froh, in die eigenen vier Wände zu kommen".

Auf dem Platz abseits der Kirmes stehen die Wohnwagen dicht an dicht. Auf engsten Raum schlafen da Schausteller-Mitarbeiter in Etagenbetten. "Das ist hier wie ein kleines Dorf", sagt ein Beschicker. Franz-Rainer Liebe (62) ist jetzt seit drei Tagen mit seinem alten Mercedes-Mobil da. Er und seine Frau Brigitte verdienen ihr Geld mit Fadenziehen in der Straße Am Weidenbach. Früher machte die Familie mit Puppenspiel von sich Reden, der Sohn reist mit "Hau den Lukas" an.

Die Liebes müssen auf Luxus verzichten, haben sich eher funktionell eingerichtet. "Die Leute haben alle kein Geld mehr", sagt der 62-Jährige. Beim ihm reicht es so grade. Fürs abendliche Bier geht er deshalb auch nicht in die Kneipe. "Hier holt sich jeder ''ne Kiste", sagt der Euskirchener. Feierabend im Wohnwagendorf.

Alle Infos rund um das fünftägige Kirmes-Spektakel gibt es unter www.puetzchens-markt.de

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