Hannes Lindemann 72 Tage voller Entbehrungen und Glücksgefühle

SCHWEINHEIM · Vor 50 Jahren überquerte Hannes Lindemann in einem Serienfaltboot allein den Atlantik. Der heute 84-jährige Bad Godesberger berichtet von körperlichen und mentalen Grenzerfahrungen.

Drei Wünsche hatte der kleine Junge, der in Lauenburg nahe Ratzeburg aufwuchs: Einmal in Marokko arbeiten, einmal den Atlantik überqueren, einmal eine Weltreise unternehmen.

Das Schicksal meinte es gut mit ihm. Alle seine Träume gingen in Erfüllung. In Marokko, das er 1951 per Segeltörn von Portugal aus erreichte, arbeitete Hannes Lindemann, Jahrgang 1922, als Arzt auf einer US-Militärbasis. Die Weltreise unternahm er später in den Diensten eines steinreichen amerikanischen Unternehmers.

Und die Atlantiküberquerung glückte ihm gleich zweimal: 1955 in einem Einbaumkanu und 1956 in einem winzigen "Serienfaltboot". Letzteres trug den Namen "Liberia III", weil Lindemann zu dieser Zeit als Arzt auf einer Gummiplantage in dem afrikanischen Staat arbeitete.

Diese zweite Tour dauerte 72 entbehrungsreiche Tage und führte von Las Palmas bis zur Insel St. Martin bei Haiti. Sensationslust war es nicht, was den 34-jährigen passionierten Segler antrieb. Eher unbändige Neugier und der Ruf einer imaginären Stimme.

"Man ist im Leben gar nicht immer der aktive Teil", philosophiert der heute 84-Jährige bei dem Gespräch in seinem Schweinheimer Domizil, "man wird auch oft geschoben." Vom "Chef da oben", wie er seinen Schöpfer schelmisch nennt.

Doch war da auch der Wille, die Grenzen der körperlichen und vor allem der mentalen Belastbarkeit zu erkunden. Denn bei seinem ersten Trip mit dem Einbaum hätte sich Lindemann "fast aufgegeben".

Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Er trainierte nun vor allem seinen Geist durch autogenes Training. Darüber schrieb er später Lehrbücher, die noch heute aufgelegt werden. Vier Grundsätze hämmerte er sich ein: "Ich schaffe es!" "Kurs West!" "Nimm keine Hilfe an!" und "Nicht aufgeben!" Aber auch Ehrgeiz war mit im Spiel.

1928 nämlich hatte bereits der Kapitän Franz Romer den Atlantik überquert, mit einer seetüchtigen Sonderanfertigung eines Faltbootes. Lindemann wollte beweisen, dass es auch mit einfachsten Mitteln geht. Zu der ein Jahr dauernden Vorbereitung zählten außerdem tägliche Drei-Kilometer-Schwimmtouren und das Anlegen von Fettpolstern.

Zum Beweis zeigt Lindemann auf ein Foto, das ihn als blonden Recken mit kleinen Rundungen zeigt: "Sehen Sie mal, da hatte ich ganz schön Bauch", sagt er mit Waterkant-Akzent. Mit Kompass, Sextant, 60 Dosen Eingemachtem, 100 Dosen englischer Büchsenmilch und 72 Dosen Bier bricht er auf.

Als er am 30. Dezember 1956 in St. Martin erschöpft sein Boot auf den Strand zieht, wiegt er rund 50 Pfund weniger. Hinter ihm liegen unglaubliche Strapazen. Lindemann verzehrt auf seiner Reise Hornfische samt Gehirn, plagt sich mit Abszessen herum, leidet unter Halluzinationen, kentert zweimal und verliert dabei den Großteil seiner Ausrüstung.

Doch erlebt er auch unvergessliche Glücksmomente. Manchmal habe er "vor Freude gesungen oder geschrien". Gegen Ende des Trips kann sich aber auch Lindemann nur mühsam gegen mentale Entkräftung durch Schlafentzug wehren.

Am 21. Dezember 1956 notiert er in sein Tagebuch: "Manchmal glaube ich, nicht mehr am Leben zu sein. Doch wenn meine Seele wandert, vergesse ich alles und fühle mich glücklich und zufrieden wie eine Katze am warmen Ofen." Zum Helden wurde Lindemann nicht. Doch immerhin widmete die amerikanische Zeitschrift "Life" im Juli 1957 seiner Atlantiküberquerung eine Titelgeschichte.

Und bis heute hält Hannes Lindemann, der ab 1961 in Bonn beim Deutschen Roten Kreuz arbeitete, Diavorträge über seine Abenteuer - nachzulesen in seinem Buch "Allein über den Ozean". Die "Liberia III" steht übrigens im Deutschen Museum in München.

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