Zwischen Glaube und Tat

Bonn-Bad Godesberg. Der schwarze BMW hält an. Die Tür öffnet sich, ein schwarz gekleideter Mann steigt aus, wirft schwungvoll die Autotüre zu und läuft die Treppe zum Pfarrhaus hinauf: Wolfgang Picken, 40, Pfarrer der Gemeinde St. Andreas und Evergislus.

Zwischen Glaube und Tat
Foto: Kilian

Seit November 2004 ist Picken Seelsorger von 8200 Katholiken in Bad Godesberg. Seitdem hat er viel bewegt: zwei Kindergärten vor der Schließung gerettet, zwei Klöster gegründet, ein Mausoleum saniert. Der Pfarrer liebt seine Arbeit. "Es gibt keinen Beruf, der auf so vielfältige Weise mit Menschen verknüpft ist, mit Kindern, Alten, Kranken, Verliebten, Trauernden."

Es brauchte seine Zeit, bis Picken ganz sicher war, dass er Pfarrer werden wollte. Zwar war er direkt nach dem Abitur ins Bonner Priesterseminar gezogen - aber erstmal nur für ein Jahr, sozusagen auf Probe. "Danach hatte ich die Nase voll." 198 Männer "auf einem Haufen", vom Aufstehen bis zum Schlafengehen alles geregelt und "von morgens bis abends der liebe Gott".

Das war zuviel für den "ganz normalen Jugendlichen" Wolfgang Picken. "Es gibt so viele Themen, die interessant sind", sagt er, "und plötzlich war da nur noch die Theologie." Eigentlich wollte Picken das Priesterseminar verlassen. Dann begann er zusätzlich Politische Wissenschaften, Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften an der Bonner Universität zu studieren - und blieb Seminarist. "

An der Uni war ich wieder unter normalen Menschen, also der Durchschnittsbevölkerung näher", sagt er lachend. Picken hatte seine "Kombination zwischen Kult und Kultur" gefunden. Heute ist er froh, sein Theologie-Studium nicht abgebrochen zu haben. "Der Priesterberuf ist ideal, um Glaube und Tat zu verknüpfen."

Kirchensteuer Mit markigen Thesen erscheint Wolfgang Picken derzeit in der Öffentlichkeit. Die Kirchensteuern dürften nicht weiter wie in sozialistischer Manier pauschal in Gemeinden fließen, sondern müssten „erfolgsorientierter“ verteilt werden. Der Pfarrer, der neue Mitglieder gewinne, müsse mehr Gelder erhalten als der faule Priester. „Die Kirche ist längst ein Konzern“, äußerte er in einem Zeitungsinterview. Sie müsse endlich seelsorgerisches Anliegen mit Wirtschafts-Know-how verbinden, so Picken. Womit er dem „Konzern“ sicher einigen Diskussionsstoff gegeben hat.Tatkräftig ging er auch an seine erste Aufgabe als Bad Godesberger Pfarrer: Er musste den Sparplan des Erzbistums Köln umsetzen. Picken interpretierte das kurzerhand als "eine Riesenchance für die Menschen, kreative Gegenkonzepte zu entwickeln". Unter dem Motto "Wir sind eine Gemeinde im Aufbruch" fasste er fünf Kirchengemeinden zu einer einzigen zusammen.

Die neue Gemeinde St. Andreas und Evergislus legte als eine der ersten des Erzbistums ihr Sparkonzept vor. "Wir dürfen den Leuten nicht erzählen, was alles weggeschnitten wird. Wir müssen die Leute für das begeistern, was übrig bleibt."

Picken gründete die Bürgerstiftung Rheinviertel und rettete so gemeinsam mit den Gemeindemitgliedern und Sponsoren von außerhalb zwei Kindergärten vor dem Rotstift. Dabei hat er das Glück, in seinem Viertel auch gut betuchte Bürger wohnen zu haben sowie Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik.

Als die St. Hildegard-Kirche geschlossen werden sollte, machte er aus dem Pfarrhaus kurzerhand ein Kloster: Vier indische Franziskanerinnen zogen nach Godesberg. Das Pfarrhaus war damals allerdings "eine Bruchbude". Kostenvoranschlag für die Sanierung: 120 000 Euro. "Soviel Geld hatten wir nicht", sagt er.

Aber er hatte seine Gemeinde. "Jeder hat Talente. Man muss den Leuten eine Chance zur Selbsthilfe geben." Es fanden sich so viele Helfer, dass Picken das Kloster "noch von außen hätte tapezieren können". Am Ende kostete das Pfarrhaus "keinen Cent".

Bei den Gottesdiensten läuft Picken umher, geht in den Mittelgang, breitet die Arme aus, stellt Fragen an seine Gemeinde, lacht, klatscht. Er gibt den Ton an. Wenn der Organist ausgefallen ist, auch im wörtlichen Sinn. Dann ruft er zwischen zwei Strophen, die seine Gemeinde a cappella singt, "das ist zu schnell" oder " jetzt lauter". Dabei wippt er mit den Knien im Takt. Wenn alles klappt, lächelt er zufrieden.

"Er ist schon ein Selbstdarsteller", sagt eine Godesbergerin über ihren Pfarrer. "Aber gleichzeitig ist er ein Grund, nach 20 Jahren ohne Kirche wieder in die Messe zu gehen." 20 Prozent der Gemeindemitglieder besuchen Pickens Gottesdienste. Im Erzbistum Köln sind es durchschnittlich nur zwölf Prozent. Und auf Pickens Schreibtisch liegen eine Reihe neuer Anträge auf Aufnahme in die Kirche.

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