Interview mit GIZ-Chefin Tanja Gönner "Unser System ist überlastet"

BONN · GIZ-Chefin Tanja Gönner über die Herausforderung durch die Krisen und die Zukunft der Entwicklungsorganisation

 Bekennt sich zum Standort Bonn: Tanja Gönner beim Interview in ihrem Büro in der Bundesstadt.

Bekennt sich zum Standort Bonn: Tanja Gönner beim Interview in ihrem Büro in der Bundesstadt.

Foto: Roland Kohls

Ebola-Epidemie, Flüchtlingskrise, Afghanistan - die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist vielfach betroffen und gefordert. Mit GIZ-Chefin Tanja Gönner sprachen Andreas Baumann und Lutz Warkalla.

Frau Gönner, die Ebola-Epidemie hält die Welt in Atem. Dass sie zur Katastrophe werden konnte, hängt auch mit dem unterentwickelten Gesundheitssystem in den betroffenen Ländern zusammen. Hätte die Entwicklungszusammenarbeit im Vorfeld mehr tun müssen?
Tanja Gönner: Natürlich stellt man sich bei solchen Krisenfällen immer diese Frage. Aber richtig ist auch, dass nicht alle Geber in jedem Land alles machen. Die GIZ ist vor allem in den drei betroffenen Ländern in anderen Schwerpunkten aktiv, zum Beispiel Bildung und nachhaltiges Wirtschaften. Natürlich ist die GIZ in der Lage, ein Gesundheitssystem zu beraten und zu unterstützen. Aber letztendlich muss das die Bundesregierung in Abstimmung mit den anderen Gebern entscheiden.

Was könnte die GIZ denn leisten, wenn wieder eine Zusammenarbeit möglich ist?
Gönner: Wir beraten Regierungen, wie ein Gesundheitssystem aufgebaut sein muss, wir können Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter im Gesundheitswesen unterstützen, wir können beim Aufbau von Laboren und der Einführung von Sicherheitsstandards Hilfe leisten.

Ist die GIZ in ihrer Arbeit von der Ebola-Epidemie betroffen?
Gönner: In den betroffenen Ländern arbeiten die nationalen Mitarbeiter - das sind etwas mehr als 160 - weiter in den Projekten, aber die 24 deutschen und internationalen Fachkräfte sind zurück in Deutschland. Das war eine Risikoabwägung. Die afrikanischen Mitarbeiter fanden das übrigens völlig selbstverständlich.

Hier wurde Ebola erst wirklich zum Thema, als die ersten Patienten in unseren Krankenhäusern behandelt wurden. Schauen wir zu wenig über den eigenen Tellerrand?
Gönner: Viele Menschen hier haben ja mit ihren eigenen Sorgen zu kämpfen. Aber natürlich wäre es immer wünschenswert, dass man über den Tellerrand hinausblickt - was passiert in der Welt, was bedeutet das für uns in Deutschland. Das gilt nicht nur für Ebola.

Ein zweites großes Thema derzeit ist die durch den Krieg in Syrien ausgelöste Flüchtlingskrise. Ist die GIZ damit befasst?

Gönner: Ja. Wir arbeiten im Auftrag des Entwicklungsministeriums im Libanon und Jordanien, um die Lage der Flüchtlinge in den Gemeinden, die sie aufgenommen haben, zu stabilisieren. Dabei geht es vor allem um Bildung, den Bau von Schulen, ausreichend Trinkwasser und Entsorgung von Abwasser.

Macht die Zunahme der Krisen der GIZ zu schaffen?
Gönner: Das beschäftigt uns schon. Wir sind ja auch in der Ukraine aktiv, wir unterstützen im Auftrag des Entwicklungsministeriums in der Ostukraine mit winterfesten Unterkünften, aber auch mit Winterbekleidung, Generatoren und mehr. Auf der Krim hingegen haben wir unsere Arbeit zur HIV-Aufklärung nach der Annektion durch Russland eingestellt. Und ein großes Thema bleibt natürlich Afghanistan. Afghanistan ist unser größter Auslandsstandort, wir haben 1850 Mitarbeiter dort, davon 250 entsandte Kräfte.

Afghanistan ist aber, was den Drogenhandel angeht, keine Erfolgsgeschichte: Die Opiumproduktion ist so hoch wie noch nie - auch weil jetzt dank der Entwicklungsprojekte mehr Land bewässert wird.
Gönner: Soll man den Menschen, die normale Landwirtschaft betreiben, das lebenswichtige Wasser verweigern, weil auch der Opiumanbau davon profitieren könnte? Die GIZ ist mit der Bekämpfung des Opiumanbaus nicht befasst. Aber klar ist: Afghanistan ist ein schwieriger Standort, die Arbeit für die Mitarbeiter ist unglaublich herausfordernd. Die Korruption ist immer noch hoch. Da liegt noch viel Arbeit vor uns. Aber man darf auch sagen, was schon erreicht wurde.

Was sehen Sie denn als Erfolg an?
Gönner: Allein die Tatsache, dass es gelungen ist, eine Regierung zu bilden, ist für das Land ein Fortschritt. Der Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen ist deutlich erleichtert worden, wir kommen Stück für Stück im Bereich nachhaltiges Wirtschaften voran, und die Lebenserwartung der Afghanen ist deutlich gestiegen.

Man könnte noch weitere Krisen nennen - Südsudan etwa, den Gazastreifen. Welche Rolle spielt die GIZ dort?
Gönner: Nach wie vor gilt: Keine Entwicklung ohne Sicherheit, keine Sicherheit ohne Entwicklung. Im Südsudan sind ethnische Konflikte wieder ausgebrochen. Entwicklungszusammenarbeit kann das nicht verhindern, sondern nur versuchen, stabilisierend zu wirken, um überhaupt Entwicklung zu ermöglichen.

Im Gazastreifen sind wir seit vielen Jahren aktiv, auch in der West Bank, etwa in der Beratung und psychosozialen Betreuung von traumatisierten Menschen, vor allem Jugendlichen. Das ist, besonders nachdem es jetzt wieder zu Gewalt gekommen ist, eine große Herausforderung. Aber es ist ja schon länger sehr schwierig, dort zu arbeiten.

Was ist das Problem?
Gönner: Der Gazastreifen ist nun mal abgeriegelt. Es wäre wichtig, dort eine gewisse Freizügigkeit zu erreichen. Es gibt berechtigte Interessen der Palästinenser, und dazu gehört Mobilität. Andererseits habe ich natürlich Verständnis für das Sicherheitsbedürfnis der Israelis. Man muss die Schnittmenge finden, an der sich beide Seiten aufeinander zubewegen können. Es muss Fortschritte geben, sonst besteht die Gefahr, dass dort die nächste Unterstützergeneration für radikale Islamisten heranwächst.

Ist es schwierig, Personal für den Einsatz in Krisenländern zu finden?
Gönner: Manchmal müssen wir etwas länger suchen, aber alles in allem kommen wir gut zurecht. Abgesehen davon suchen wir natürlich immer viele unterschiedliche Experten. Da muss man nur mal auf unsere Internetseite schauen...

Die Fusion der ehemaligen GTZ mit dem Deutschen Entwicklungsdienst und Inwent zur GIZ war ja durchaus von Turbulenzen begleitet. Würden Sie sagen, das hat sich gelohnt?
Gönner: Ich genieße da gewissermaßen die "Gnade der späten Geburt". Ich bin ja erst nach der Fusion zur GIZ gekommen. Aber damals haben sich die Mitarbeiter oft mit dem Hinweis vorgestellt, aus welcher Organisation sie kommen. Das finden Sie heute nicht mehr. Da ist etwas zusammengewachsen. Wichtig ist, dass wir uns heute als ein gemeinsames Unternehmen GIZ verstehen und jetzt daran arbeiten, dieses Unternehmen noch besser aufzustellen.

Was bedeutet das konkret?
Gönner: Wir befinden uns derzeit in einem Reorganisationsprozess. Es wird bei den Instrumenten bleiben - Langzeitexperten, Kurzzeitexperten, Entwicklungshelfer, Integrierte Fachkräfte - , aber man muss sich die Frage stellen, ob die Personalrekrutierung dafür jeweils getrennt oder künftig in einer gemeinsamen Einheit stattfindet. Ziel ist, wirtschaftlicher zu arbeiten und Prozesse zu vereinfachen, damit wir wieder mehr Zeit für die Leistungserbringung haben. Wir merken, dass unser System überlastet ist. Es muss uns gelingen, wieder mehr Zeit zu haben, um noch intensiver gemeinsam mit unseren Partnern arbeiten zu können.

Woran machen Sie diese Überlastung fest?
Gönner: An ganz vielen Dingen, zum Beispiel auch an der personellen Belastung. Es ist dauerhaft nicht vertretbar, wenn Mitarbeiter oft bis an die Grenze ihrer Kapazitäten arbeiten. Es gibt eine hohe Motivation, und manchmal muss man die Mitarbeiter vor sich selbst schützen.

Mit Bonn und Eschborn hat die GIZ zwei Standorte. Es gab immer die Befürchtung, dass die wirkliche Musik in Eschborn spielt. Ist das so?
Gönner: Das ist nicht so. Mehr als die Hälfte unserer Vorstandssitzungen findet hier statt, ich habe hier ebenso wie meine Vorstandskollegen ein Büro, und wir investieren in Bonn gerade 100 Millionen Euro in Neubauten. Wir veranstalten im Mai 2015 gemeinsam mit NRW eine große Konferenz in Bonn, die Bonn Conference for Global Transformation. Dafür setzen wir 350.000 Euro aus unseren Überschüssen ein. Das ist einer der höchsten Einzelbeträge, den wir je für eine solche Maßnahme aufgewendet haben. Ich denke, das sind mehr als genügend Bekenntnisse zum Standort Bonn.

Wo soll die Konferenz stattfinden?
Gönner: Wir gehen davon aus, dass wir die ersten sein werden, die das neue Kongresszentrum WCCB nutzen können.

Die GIZ

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist am 1. Januar 2011 aus der Verschmelzung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt) und dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) hervorgegangen. Das Unternehmen hat seinen Sitz sowohl in Bonn als auch in Eschborn.

Hauptaufgabe der GIZ ist die Unterstützung der Bundesregierung in der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung und in der internationalen Bildungsarbeit. Das bundeseigene Unternehmen beschäftigte zum Zum Stichtag 31. Dezember 2013 insgesamt 16 510 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon waren 3208 in Deutschland und 2058 als sogenannte "Entsandte" im Ausland beschäftigt. 11 224 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten als lokale Kräfte in den Partnerländern. Insgesamt arbeiteten rund 80 Prozent der Mitarbeiter der GIZ im Ausland.

Zur Person

Tanja Gönner ist seit Juli 2012 Vorstandsvorsitzende der GIZ. Von 2004 an war die CDU-Politikerin sieben Jahre Mitglied der Landesregierung Baden-Württemberg, zuletzt als Umwelt- und Verkehrsministerin im Kabinett Mappus.

Mit der Wahlniederlage der CDU 2011 endete ihre landespolitische Karriere, nachdem sie weder den erstrebten Fraktions- noch Bezirksvorsitz erringen konnte. Die 45-jährige Juristin ist katholisch und ledig.

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