Alt-Nazis im Bundesjustizministerium Kommission untersucht Lebenswege früherer Beamter

BONN · Alt-Nazis haben noch 25 Jahre nach Kriegsende unbehelligt in der Bonner Rosenburg gearbeitet. Zu diesem Ergebnis kommen der Zeithistoriker Manfred Görtemaker und der Marburger Strafrechtler Christoph Safferling, die seit Januar 2012 eine unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bundesjustizministerium (BMJ) leiten.

 Nach dem Umbau in modernem Gewand: Heute sind in der Rosenburg in Kessenich vorwiegend Wohnungen zu finden.

Nach dem Umbau in modernem Gewand: Heute sind in der Rosenburg in Kessenich vorwiegend Wohnungen zu finden.

Foto: Horst Müller

Es war eine bemerkenswerte Schrift, die Ende 1991 vom Personalrat des Bundesjustizministeriums herausgebracht wurde. Ein halbes Jahr nach dem Beschluss, Bundestag und Teile der Regierung von Bonn nach Berlin zu verlegen, erinnerten sich ehemalige und aktive Mitarbeiter an den "Geist der Rosenburg", so der Titel der Publikation.

Es ging um die frühen Jahre des Justizministeriums, das von 1950 bis 1973 in dem markanten Gebäudekomplex im Bonner Stadtteil Kessenich untergebracht war. Von einem großen Zusammenhalt der Mitarbeiter war die Rede und von einer "schönen, überaus lebendigen Zeit". In einer früheren Schrift wurden Karnevals- und Sommerfeste erwähnt, Blasmusik oder gemeinsame Obsternten.

Mit einem ganz anderen Geist beschäftigen sich die Darstellungen, die Manfred Görtemaker und Christoph Safferling in ihrem Sammelband "Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit" veröffentlicht haben. In dem 373-Seiten-Werk, das zumeist auf Symposiumsbeiträgen vom April 2012 basiert, geht es um die Brüche und Umbrüche, aber auch um die Kontinuitäten im deutschen Justizwesen von der Nazizeit hinein in die Bundesrepublik. Untersucht wird speziell das Justizministerium.

Doch wie so oft in der Wissenschaft, ist das Bild nicht einheitlich. So hebt der Frankfurter Rechtshistoriker Joachim Rückert hervor, dass in den 60er Jahren unter den Unterabteilungsleitern 66 Prozent NS-belastet gewesen seien, unter den Abteilungsleitern 60 Prozent. Diese Zahlen sähen zwar "niederschmetternd" aus, so Rückert, "sie sind es aber nicht". Das Bild zeige vielmehr "eine professionelle Elite in neuer Funktion im neu errungenen Rechts- und Sozialstaat".

Wer schon in der Nazizeit im Justizapparat tätig gewesen und dann in der jungen Bundesrepublik in verantwortungsvolle Funktionen gekommen sei, hätte betont rechtsstaatlich und regierungstreu gearbeitet. "Ich habe keinen Anhaltspunkt gefunden, dass diese Juristen die neue Demokratie nicht vertreten oder gar bekämpft hätten", so Rückert.

Doch war es wirklich so? Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert zieht ein anderes Fazit: Das deutsche Justizwesen sei "in den drei Jahrzehnten nach dem Kriege in ganz erheblichem Maße von einstigen Parteigängern des NS-Regimes bestimmt worden". So sei es der Justiz gelungen, jedes schärfere Vorgehen gegen einstige NS-Richter, NS-Staatsanwälte und Beamte des Reichsjustizministeriums zu verhindern. Zum Beispiel durch den damaligen Leiter der Strafrechtsabteilung, Eduard Dreher, wie Herbert schreibt.

Während des Krieges hatte Dreher als Staatsanwalt beim Sondergericht Innsbruck Todesurteile beantragt. Eine Tatsache, die er nicht verdrängt, sondern der er sich offenbar sehr bewusst war. Denn wieso hätte er in den 60er Jahren, als es um die Verjährungsfristen ging, ein unscheinbares Gesetz nutzen wollen, um sich und andere zu schützen?

Eigentlich ging es in dem Gesetz vor allem um neue Regeln für die Behandlung von Ordnungswidrigkeiten im Verkehr, führt Herbert aus, doch im Artikel 1 versteckte Dreher quasi eine neue Strafvorschrift in dem Sinne, dass ein Teilnehmer an einer Mordtat nicht nach den Vorschriften für Mord, sondern nur nach jenen für Mordversuch belangt werden könnte. Mit der Folge, dass die Verjährungszeit nach 15 Jahren endete. "Damit waren alle Taten während der NS-Zeit, die in diesem Sinne anzusehen waren, verjährt, wenn das Verfahren nicht vor dem 8. Mai 1960 eröffnet worden war", so Herbert. Erst in der Zeit nach 1960 aber begann die detaillierte Aufklärungsarbeit.

Der Autor spricht von einer "bemerkenswerten Aggressivität", die einstige NS-Juristen an den Tag gelegt hätten, von einer konstanten Abwehr der Verantwortung für die eigenen Taten und davon, dass - wie Dreher - ein Spitzenjurist "mit großer Sorgfalt ein Gesetz platzierte, das den schrecklichsten Massenmördern des 20. Jahrhunderts vollständige Straffreiheit brachte".

Gerade in der detaillierten Beschreibung von Lebensläufen wird immer wieder deutlich, wie kompliziert die Bewertung ist. Willi Geiger war von 1951 bis 1977 Bundesverfassungsrichter, ein hoch angesehener dazu. Doch auch er hatte seine "braune Weste", wie der "Vorwärts" 1966 schrieb, war doch Geiger 1942/43 in Bamberg an Todesurteilen beteiligt. Außerdem hatte er in seiner Dissertation vom angeblich "volksschädigenden und kulturzersetzenden Einfluß der jüdischen Rasse auf dem Gebiet der Presse" geschrieben.

Der Würzburger Jura-Professor Horst Dreier schaut aber auch auf Geigers Leistungen in der frühen Bundesrepublik und hebt hervor, dass auf dessen Betreiben das Recht zur Verfassungsbeschwerde jedes einzelnen Bürgers zurückgeht, "eine der großen Errungenschaften der politischen Entwicklung", wie Dreier schreibt. Nicht in Schwarz oder Weiß, sondern in verschiedenen Graustufen, so der Autor, müsse auch diese Lebensgeschichte betrachtet werden. Ein Fazit, dem sicher noch viele Fakten hinzuzufügen sind, schließlich will die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Justizministerium es nicht bei diesem ersten Buch belassen.

Manfred Görtemaker, Christoph Safferling (Hrsg.): Die Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit - eine Bestandsaufnahme. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, 49,99 Euro

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