"Es gab kein Entkommen vor der Gewalt"

Mehr als 250 Bürger erinnern mit Schweigemarsch an die Schrecken der Reichpogromnacht

"Es gab kein Entkommen vor der Gewalt"
Foto: Barbara Frommann

Beuel-Mitte. Stille liegt über dem Rathausplatz. Stumm reihen sich mehr als 250 Teilnehmer auf Einladung der Beueler Initiative gegen Fremdenhass zur Erinnerung an die Reichspogromnacht in den Gedenkmarsch ein. Weiträumig hat die Polizei die Friedrich-Breuer-Straße abgesperrt. Langsam setzt sich die Menschenschlange in Bewegung. Quer durch Beuel führt sie der Weg.

Straßen für Straßen schließen sich weitere Menschen dem Zug an. "Worum geht es hier?", fragt ein Mann flüsternd am Straßenrand. Als er hört, dass es sich um eine Gedenkveranstaltung handelt, schließt er sich spontan an. An der Oberen-Wilhelm-Straße zeigt sich die Größe des Marsches: Er erstreckt sich über die gesamte Länge der Straße. Über die Goetheallee geht es zur Kundgebung auf dem Synagogenplatz.

"Hier an dieser Stelle stand bis zur Nacht des 9. Novembers 1938 die 1902 errichtete Beueler Synagoge", erklärt Marianne Rühmland-Pfeffer am Mahnmal. "Sie wurde geplündert, geschändet und zerstört. Es gab kein Entkommen vor der Gewalt. Nur wenige blieben verschont", erinnert sie. Maria Kahle, eine engagierte Bonner Bürgerin habe damals alles aufs Spiel gesetzt, um ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen.

Was hätten sie getan?, habe Kahle in ihren Erinnerungen gefragt. "Ich stamme aus einer widerständigen Familie, offenen Widerstand wurde aber auch von ihr nicht gewagt. Meine Mutter belastete es ihr Leben lang nicht zu wissen, was aus ihren jüdischen Freundinnen geworden ist", so Rühmland-Pfeffer. Die "Fast-Zeitzeugen" und alle Nachkommenden seien verpflichtet, die Erinnerung an die Ereignisse vor 70 Jahren lebendig zu halten, mahnt sie als Mitinitiatorin des Schweigemarschs.

"Wer versucht, die Erinnerung zu unterdrücken, schafft Neurosen, wer sie aufarbeitet, dem gibt sie Kraft", mahnt Leah Rauhut-Brungs vom Kleinen Jüdischen Lehrhaus Oberkassel. "Indem wir uns erinnern - nicht nur an die Gräuel, sondern auch an die Freuden des Einweihungstages der Synagoge - leben die Opfer fort", sagt sie. Nach dem Marsch zeigt das Junge Theater Beuel Szenen aus dem ehemaligen jüdischen Leben in Beuel.

Reichspogromnacht

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 leitete die NSDAP einen angeblich spontanen Akt des "Volkszorns" ein. Tatsächlich wurde die sogenannte Reichspogromnacht durch Angehörige von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) eingeleitet.

Während und unmittelbar in Folge der Ausschreitungen starben weit mehr als 1 300 Menschen. Mindestens 1 400 Synagogen des "Reiches" wurden stark beschädigt oder brannten gänzlich aus, tausende Geschäfte jüdischer Bürger wurden zerstört. Am 10. November wurden mehr als 30 000 männliche Juden in Konzentrationslager verschleppt.

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