Aus der deutschen Nationalmannschaft Die größte Schmach seit Cordoba und Gijon

MOSKAU · Die deutsche Nationalmannschaft ist bei der WM in Russland krachend gescheitert. Die Aufarbeitung des Debakels wird sich Monate hinziehen. Eine Analyse.

 Enttäuscht sitzt Mario Gomez nach dem WM-Aus auf dem Rasen.

Enttäuscht sitzt Mario Gomez nach dem WM-Aus auf dem Rasen.

Foto: dpa

Die riesigen, kühlen Hallen des Flughafens Wnukowa in Moskau spiegelten den Gemütszustand der deutschen Nationalspieler. Eine innere Leere begleitete sie durch die langen Gänge zu ihrem Abflugschalter. Nur fliehen wollten sie vom Ort der größten Schmach des deutschen Fußballs, eine Schmach, die es seit Cordoba (1978) und Gijon (1982) nicht mehr gegeben hatte.

Doch in Russland war alles noch viel verheerender. Das Vorrunden-Aus bei der WM, die sie als Titelverteidiger zu neuen Ruhmestaten führen sollte, hat im Land eine tiefe Rat- und Fassungslosigkeit hinterlassen. Die Aufarbeitung wird sich noch einige Wochen, sogar Monate hinziehen.

Der Trainer

Deutschland gegen Südkorea
9 Bilder

Deutschland gegen Südkorea

9 Bilder

Joachim Löw konnte sich über einen beachtlichen Begleitschutz freuen. Neben dem Bundestrainer lief am Donnerstagmittag Reinhard Grindel, der DFB-Präsident, gemächlichen Schrittes, aber bestimmt zum Gate 29 des Flughafens Wnukowo in Moskau. Sie gingen zwar nicht Hand in Hand, aber wer wollte, konnte darin eine demonstrativ zur Schau gestellte Einheit entdecken.

Motto: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Die Wertschätzung Grindels für den Bundestrainer ist ja unbestritten, und Löw hat gerade erst seinen Vertrag als Bundestrainer bis 2022 verlängert. Das einzige, was diese Ehe auf ewig nachhaltig ins Lieblose abrutschen lassen könnte, ist diese aus deutscher Sicht gruselige WM in Russland. Das surreale Scheitern wirft natürlich Fragen auf. Auch und vor allem über die Zukunft Löws.

Grindel hatte wenige Minuten zuvor angekündigt, dass eine Entscheidung darüber erst in den kommenden Tagen fallen werde. Noch in der Nacht nach dem Debakel gegen Südkorea hatte er sich mit dem 58-Jährigen über weitere Bedenkzeit geeinigt. Wohl für beide Seiten. Denn Der DFB-Trainer, der die Mannschaft in der Weltspitze etabliert hat, ist plötzlich nicht mehr so unantastbar, wie er noch vor der WM schien. Er hat sich angreifbar gemacht durch eine Rat- und Tatenlosigkeit, die seiner Elf vor allem im ersten Spiel gegen Mexiko (0:1) gelähmt hat.

Löw zeigte sich außerstande, durch konkrete und nachhaltige Coaching-Eingriffe einen Richtungswechsel herbeizuführen. Letztlich läutete die Niederlage den schleichenden Prozess des Auseinanderfallens der Mannschaft ein, die allerdings zu keinem Zeitpunkt des Turniers richtig zusammengefunden hatte. Die Spieler blieben sich merkwürdig fremd auf dem Platz. Löw hat es nicht geschafft aus dem Potenzial der Weltmeister und der Confed-Cup-Sieger 2017 eine hungrige Gemeinschaft zu entwickeln.

Mannschaft I

Die Spieler liefen tröpfchenweise ein an Gate 29. Alleine darin eine Spaltung zu vermuten, wäre natürlich vermessen. Aber als gefestigte Einheit mit einem funktionierenden Gerüst hat sich die deutsche Auswahl beim Weltturnier nicht präsentiert. Schon in den vergangenen Monaten blieb sie jeglichen Beleg für eine angemessene Turnierform schuldig.

Die Tests legten immense Schwächen (Konteranfälligkeit) offen, die sich im Turnierverlauf nicht abstellen ließen. „Das letzte überzeugende Spiel“, meinte Abwehrchef Mats Hummels in Kasan, „war im Herbst 2017“. Das ist lange her. Die Hinterkopf-Theorie, im Turnier werde es schon irgendwie gutgehen, erwies sich diesmal als trügerisch. Sie weitete sich aus zu einem an Hochmut grenzenden Selbstverständnis. "Es ist peinlich, dass wir als Gruppenletzter in so einer Gruppe, mit so einem Kader, mit solchen Ansprüchen ausscheiden", meinte Thomas Müller.

Wie für viele hochdekorierte Spieler war das Turnier auch für den Münchner eher Last als Lust. Sami Khedira gehörte an erster Stelle dazu. Rätselhaft war der Auftritt des Turiners, der sich nach vielen Verletzungen in einer Topform wähnte. Auch bei anderen fehlte es an Form und offenbar auch an Fitness wie bei Mesut Özil etwa. Die Wirbel um ihn und Ilkay Gündogan in der Erdogan-Debatte belastete die beiden – und das Team. Sie wirkten isoliert. Bei allen sei die Bereitschaft nicht groß genug gewesen, sagte Kapitän Manuel Neuer, „der unbedingte Wille habe gefehlt, zu zeigen, dass „wir hier bei der Weltmeisterschaft etwas reißen wollen“. Neuers Worte lassen tief blicken in die Seele des deutschen Spiels, das geprägt war von Teilnahmslosigkeit.

Es ist anzunehmen, dass nicht alle Spieler den Weg mit der Auswahl weitergehen werden. Khedira ließ schon vor der WM anklingen, dass er sich mit einem möglichen Abschied aus der Nationalmannschaft zumindest auseinandergesetzt habe. Auch Özil könnte solche Überlegungen nun anstellen nach seinem sehr mäßigen WM-Auftritt und der Aufregung um seinen Erdogan-Besuch. Mit seinen 32 Jahren kommt für Mario Gomez eine weitere WM kaum in Frage.

Mannschaft II

Dass es einen Umbruch geben muss, sahen die Verantwortlichen schon vor dem Turnier als elementar an. Als Säulen für die Mannschaft der Zukunft kommt dabei ein Block Bayern-Spieler in Frage. Joshua Kimmich gibt dem Team jetzt schon Halt, und Niklas Süle dürfte ganz oben auf der Kandidatenliste als Nachfolger für Jerome Boateng oder Mats Hummels in der Innenverteidigung stehen. Auch die Mittelfeldspieler Sebastian Rudy und der Bald-Bayer Leon Goretzka – trotz schwachen Spiels gegen Südkorea - drängen in die Mannschaft.

Vorn führt kein Weg an Timo Werner vorbei. Zudem hat der Leverkusener Julian Brandt sein gewaltiges Potenzial in Russland aufblitzen lassen. Ein Potenzial, dass auch und noch mehr in Leroy Sané schlummert, den sich viele Experten beim Turnier in Russland schon gewünscht hätten. Er ist einer der aussichtsreichsten Kandidaten, die in vier Jahren den Flieger nach Katar besteigen wollen

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort