Obdachlose im Rhein-Sieg-Kreis Die Wohnungslosenhilfe bietet ein Bett für alle Fälle

Siegburg/Rhein-Sieg-Kreis · Die Wohnungslosenhilfe des katholischen Sozialdienstes SKM in Siegburg sorgt dafür, dass im Notfall niemand draußen schläft. 750 Fälle betreuen die Mitarbeiter im Jahr.

Bert Becker ist noch ein wenig grün hinter den Ohren. Er hat bei der Weihnachtsfeier für Obdachlose den Grinch gespielt, die Farbe ließ sich nicht ganz abschrubben. Ansonsten hat er auf den ersten Blick so gar nichts mit der grünen Filmfigur gemeinsam, die Weihnachten nicht mag und den Leuten die Geschenke stielt. Der Leiter der Siegburger Notschlafstelle verteilt Kleidung, gibt kleine Geldbeträge heraus und hört sich dabei viele Geschichten an. Im Büro des katholischen Sozialdienstes SKM an der Siegburger Luisenstraße, wo Becker Fachbereichsleiter der Wohnungslosenhilfe ist, duftet eine Kerze hartnäckig gegen den Geruch von Desinfektionsmitteln und Elend an. Becker weiß, dass seine Arbeit zu Weihnachten besonders im Fokus steht. Es gibt Spenden, Wunschbäume und Weihnachtsessen für Bedürftige. „Eigentlich leben im Sommer mehr Leute auf der Straße. Schlafsäcke können wir dann erst recht gebrauchen“, gibt Becker zu bedenken.

Bei ihm landen die schwierigen Fälle. Menschen mit psychischen Problemen, deren Verhalten oft schwer auszuhalten ist, Drogenabhängige und Gestrandete wie der volltrunkene Lkw-Fahrer aus Polen. In der Notschlafstelle gibt es 24 Plätze, davon vier in einem abschließbaren Frauentrakt. Nebenan bietet der SKM außerdem 18 Plätze für Haftentlassene an. Manche bleiben nur einen Tag, andere eine ganze Woche. „Wir bringen, wenn es kalt ist, auch Leute auf dem Gang unter“, sagt Becker.

228 Übernachter im Jahr 2018

Das Telefon klingelt ununterbrochen, es klopfen ständig Ratsuchende an die Bürotür, obwohl gerade keine Sprechzeit ist. „Die Weihnachtszeit ist für jeden, der es auch anders gekannt hat, nicht einfach“, sagt Beckers Kollegin Kirsten Arndt. Diese letzte Tür bleibt nur für Menschen zu, die sich nicht an die Regeln halten. Ein psychisch Kranker hat zum Beispiel versucht, einen Hausmeister der Notschlafstelle von der Leiter zu treten. Hausverbot war die Folge. Körperliche Auseinandersetzungen sind ebenso tabu wie Alkohol und Drogen. „Wenn wir zu viele Leute haben, die schwierig sind, bleiben die Vernünftigen draußen im Kalten“, erklärt Becker. Die meisten der 228 Übernachter, die in diesem Jahr insgesamt 4000 Nächte in der Notschlafstelle verbracht haben, seien aber okay. Ist hier Endstation? „Ich hoffe nicht, für einige ist es ein Neuanfang“, so der Fachstellenleiter. Als er vor 20 Jahren anfing, betreute die Wohnungslosenhilfe 300 Fälle pro Jahr, heute sind es 750. „Uns fehlt die Zeit, einfach mal zuzuhören“, bedauert Becker.

Rund 170 Menschen aus dem gesamten Rhein-Sieg-Kreis haben an der Luisenstraße eine Postadresse, dreimal pro Woche müssen sie sich melden. Die postalische Erreichbarkeit ist nötig, um Leistungen vom Jobcenter zu erhalten und eine Krankenversicherung abschließen zu können. Die Betroffenen sind oft bei Familie, Freunden oder Bekannten untergekommen. Die Obdachlosen, die auf der Straße schlafen, sind die Minderheit.

Damit es gar nicht so weit kommt, zahlen die Kommunen Siegburg, Troisdorf, Hennef, Eitorf, Niederkassel, Lohmar und Königswinter 30 Cent pro Einwohner für die präventive Wohnungsnotfallhilfe, die ebenfalls unter dem Dach des SKM arbeitet. Ziel der Fachstelle ist es, Zwangsräumungen zu verhindern. Es gibt im Kreis außerdem verschiedene Einrichtungen für Betreutes Wohnen.

Es gibt auch in der Notschlafstelle durchaus Kandidaten, „mit denen man eine Perspektive entwickeln kann“, sagt Kirsten Arndt. Einer von ihnen sitzt im Aufenthaltsraum, wo Serien über den Fernseher flimmern und mehrere Männer zu Mittag essen: Erbsen und Möhren, Kartoffeln und Fleisch. Tagsüber sind die Schlafräume abgeschlossen. Ein Mann geht auf Bert Becker zu und sagt: „Morgen bin ich weg, es hat geklappt.“ Frohe Weihnachten in den eigenen vier Wänden.

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