Die Expertin für Kinderwunsch hört gut zu Bonner Mediziner helfen kinderlosen Paaren

Bonn · Professorin Nicole Sänger ist die neue Leiterin der Reproduktionsmedizin an der Uniklinik Bonn. Als Direktorin ihres Fachgebiets leitet sie nun ein Team von 21 Mitarbeitern.

 Ursachenforschung und Behandlungsplan: Professorin Nicole Sänger erklärt die Möglichkeiten einer Kinderwunschbehandlung.

Ursachenforschung und Behandlungsplan: Professorin Nicole Sänger erklärt die Möglichkeiten einer Kinderwunschbehandlung.

Foto: Benjamin Westhoff

Wer zu Nicole Sänger kommt, hat oft schon einiges hinter sich. Die Versuche, eine Familie zu gründen. Die Erkenntnis, dass es wieder nicht geklappt hat. Die Medizinerin hört dann erst mal zu. Häufig eine ganze Stunde lang. Denn die Menschen haben viel zu erzählen. Mal von Vorerkrankungen (wie etwa der Endometriose oder von Myomen), die den Kinderwunsch torpedieren, mal von der Suche nach Gründen für die scheinbar unerklärlichen Enttäuschungen, von Ängsten und großen Erwartungen.

„Meist sitzen die Paare zu zweit vor mir, um ihre Situation zu schildern. Das begrüße ich sehr, denn der Kinderwunsch geht ja beide etwas an“, sagt die neue Professorin für gynäkologische Endokrinologie (die Lehre von den Hormonen) und Reproduktionsmedizin am Uniklinikum Bonn (UKB).

Ihren Laborleiter hat die Frankfurterin gleich von dort mitgebracht

Als Direktorin ihres Fachgebiets leitet sie nun ein Team von 21 Ärzten, medizinischen Fachangestellten, Medizinisch-Technischen Assistenten, Sekretariatsmitarbeitern und Biologen. Ihre Mitarbeiter haben der neuen Chefin zum Einstand auf dem Venusberg das bereitet, was sie einen „rheinischen, freundlichen und wohlwollenden Empfang“ nennt. Bis zu ihrem Wechsel nach Bonn leitete die Frankfurterin die Reproduktionsmedizin am Uniklinikum ihrer Heimatstadt. Ihren dortigen Laborleiter hat sie mit an den Rhein gelotst.

„Es sind die kleinen Gesten der Belegschaft hier, die mir das Ankommen leichter machen“, sagt die 44-Jährige. Denn die bekennende Teamplayerin muss derzeit oft ohne ihr häusliches Team auskommen. Die Familie – ihr Mann (ebenfalls Arzt) und die beiden schulpflichtigen Kinder – wohnt noch in Frankfurt am Main, ein Komplettumzug nach Bonn ist noch für dieses Jahr geplant.

Auch die Medizinerin bemüht sich darum, ihren Patienten einen freundlichen Empfang zu bereiten. Als Nervennahrung bietet sie ihnen Kekse im Besprechungszimmer an. Aus Erfahrung weiß sie: Meist sind es die Männer, die zugreifen. Denn die Gespräche sind anstrengend.

Sänger vereinbart mit ihren Patienten Untersuchungen, die abklären sollen, warum sich ein Kinderwunsch nicht erfüllt. Dazu gehören unter anderem das Spermiogramm des Mannes, verschiedene Hormon-, Eileiter- und Schilddrüsenuntersuchungen bei der Frau. Viele medizinische Disziplinen werden eingebunden: die Andrologie (Männerheilkunde), Urologie, Humangenetik, Psychosomatik.

„Nicht jedes Paar braucht eine künstliche Befruchtung“

Wenn die Ergebnisse vorliegen, folgt die individuelle Therapie. „Wir arbeiten hier nach dem Ein-Arzt-ein-Patient-Prinzip“, erklärt Sänger. So müssten sich die Paare nicht immer wieder auf neue Gesprächspartner einstellen. Eine Expertin soll den Behandlungsplan koordinieren und bündeln. Der kann von der Überwachung des weiblichen Zyklus, über die Hormonstimulation und eine bessere Einstellung der Schilddrüse bis zur intrauterinen Insemination (Samenübertragung direkt in die Gebärmutter) und In-vitro-Fertilisation reichen.

„Wir machen nur so viel, wie wirklich nötig ist“, sagt Sänger. „Dass wir hier ein Kinderwunschzentrum sind, heißt nicht, dass jedes Paar eine künstliche Befruchtung braucht. Das Ziel ist eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege“, erklärt die Fruchtbarkeitsexpertin; bei Bedarf gibt es auf diesem Wege wissenschaftliche und medizinische Unterstützung.

Das Dazutun der Ärzte endet im Erfolgsfall in der siebten oder achten Schwangerschaftswoche der Patientin. „Wenn die ersten Herztöne des Kindes aufgezeichnet werden können, ist unsere Arbeit erledigt, dann übernehmen die niedergelassenen Gynäkologen.“ Und wenn es schlechte Nachrichten gibt, redet Nicole Sänger nicht lange drum herum.

In einigen Fällen muss sie ihren Gegenübern mitteilen, dass sich der Wunsch nach einem eigenen Kind sehr wahrscheinlich nicht erfüllen wird. „Da braucht es manchmal zwei oder drei Gespräche, bis das bei den Patienten ankommt, und kann zu tiefen Enttäuschungen führen“, sagt die Ärztin. Für die Fälle gibt es eine Psychologin im Haus, die sie hinzuziehen kann.

„Den Schmerz wegzaubern können wir natürlich nicht“

„Den Schmerz wegzaubern können wir natürlich nicht. Die ungewollte Kinderlosigkeit führt Paare mitunter in Situationen, die schwer zu bewältigen sind. Häufig geht es einfach darum, die Situation gemeinsam auszuhalten“, erklärt die Professorin.

Dies gilt wohl auch für ihr zweites Spezialgebiet, das sie neu aus Frankfurt mitbringt: den Fertilitätserhalt bei Mädchen und Frauen nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung. Natürlich haben die Patientinnen, oder – im Falle von Kindern – deren Eltern zum Zeitpunkt der Diagnose erst mal andere Sorgen. „Da geht es ums Überleben. Gerade deshalb sollten wir Ärzte aber nicht den Blick in die Zukunft verlieren, sondern Perspektiven für einen späteren Kinderwunsch eröffnen“, meint Sänger.

Laut der Ärztin liegt die Heilungsquote von bösartigen Krebserkrankungen bei Kindern dank moderner Medizin bei über 80 Prozent. Während die lebensrettende Therapie bis vor wenigen Jahren fast automatisch zur Sterilität der Behandelten geführt habe, gebe es heute in vielen Fällen die Möglichkeit, die Chance auf eine spätere Schwangerschaft zu erhalten.

Dazu wird vor Beginn einer Chemotherapie Eierstockgewebe der Patientin entnommen und in Stickstofftanks eingefroren. Darin hat das UKB viel Erfahrung, besitzt es doch die bislang größte universitäre Kryobank zur Einlagerung des Gewebes. „Damit wollen wir den Kindern und ihren Eltern, aber auch betroffenen Erwachsenen die Hoffnung aufzeigen, dass es weitergeht“, sagt Sänger.

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