Klaus Günther Bonner Politologe plädiert für Lernen durch Dialog

Bonn · Der Bonner Politologe Klaus Günther plädiert in seinem neuen Buch "Das Hirn der Studierenden – Dialogisches Lernen statt obrigkeitlicher Lehre" für ein Lernen durch den Dialog.

 Klaus Günther möchte die Lernbedingungen für die Studierenden verbessern.

Klaus Günther möchte die Lernbedingungen für die Studierenden verbessern.

Foto: Benjamin Westhoff

Ein Aufruhr im Gehirn ist für Klaus Günther nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Denn genau diesen Zustand erachtet der langjährige Dozent am Seminar für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn als notwendig für den nachhaltigen Erwerb von Wissen und Kenntnissen. „Wenn etwas das Kurzzeitgedächtnis erreicht hat, dann bedarf es der Erregung des neuronalen Netzwerks, um es ins Langzeitgedächtnis zu befördern. Erst dann kann man von ertragreichem Lernen sprechen“, sagt der 77-Jährige.

Nach seiner Pensionierung vor rund zehn Jahren hat er sich neue Betätigungsfelder gesucht und unter anderem in der Neurobiologie gefunden. Elementare Erkenntnisse aus dieser Disziplin versucht er seither auf verschiedene andere Bereiche anzuwenden. So brachte er bereits 2016 sein Buch „Das Hirn der Fußballprofis: Was der Fußball von neurobiologischer Forschung lernen kann“ heraus.

Darin schrieb der Autor zum Beispiel, dass das Spiel hohen Erfolgserwartungen zum Trotz immer bis zu einem bestimmten Grad unberechenbar bleiben wird. Er zeigte auf, wie im neuronalen Apparat der Spieler die vielfältigen Einflüsse verarbeitet werden, die auf dem Feld (Mitspieler, Gegenspieler, Schiedsrichter) und vom Umfeld aus (Trainer, Publikum) auf sie einwirken.

„Das System ist nicht auf die Lernenden zugeschnitten“

Vor Kurzem folgte nun der Band „Das Hirn der Studierenden“. Darin setzt Günther sich mit dem Wissenserwerb an Universitäten und Hochschulen auseinander und zieht folgenden Schluss: „Das System ist nicht auf die Lernenden zugeschnitten.“ Und das habe wiederum mit dem Aufruhr im Gehirn zu tun – beziehungsweise einem Mangel an diesem.

Denn der wünschenswerte Zustand entstehe vor allem durch die sogenannte empathische Nah-Kommunikation zwischen Studenten und Dozenten in einer lebendigen Feedback-Situation: „Auf diese Weise werden im Gehirn der Lernenden emotionale Schubkräfte erzeugt. Nur so entsteht – auch unter Einsatz digitaler Medien – ein hoher Lernertrag“, meint der Bonner Politologe, der sich in seinem Buch unter anderem auf die Arbeiten des portugiesisch-amerikanischen Forschers António Rosa Damásio und des Bremer Neurowissenschaftlers Gerhard Roth stützt.

An den Universitäten sieht Günther die Voraussetzungen für die Nah-Kommunikation derzeit nicht gegeben. „Es dominiert eine obrigkeitliche Lehre. Das heißt, der Lehrende befindet sich oben, der Lernende in großer Distanz weit unten. Das hat mit der deutschen Tradition hochschuldidaktischer Indifferenz zu tun, die bis in die Gegenwart hineinreicht“, sagt Günther. Er kritisiert unter anderem die zeitlich beschränkten Sprechzeiten, die manche Professoren ihren Studenten einräumen. „Da fühlt man sich als junger Mensch nicht gerade ernst genommen und erwünscht“, glaubt er.

Einer doziert, der Rest hört zu

Besonders auf dem Kieker hat er die Veranstaltungsformen der Vorlesung und des Referate-Seminars. Sie liefen nach seinen Beobachtungen häufig so oder so ähnlich ab: Vorne doziert jemand, der Rest hört zu – und hält ab und zu Referate, die auch nicht gerade zur Nah-Kommunikation beitrügen. Dozierende und Lernende gingen von der (neurobiologisch gesehen) falschen Annahme aus, das Vorgelesene werde eins zu eins im Gehirn abgespeichert.

Was schlägt Günther – unter den Gegebenheiten der Massenunis – denn nun vor? Zugangsbeschränkungen und somit eine Reduzierung der Studentenzahlen kommen für ihn nicht infrage. Stattdessen regt er an, dass die Hochschulen bei den Schulen abgucken. Die dort gemachten Erfahrungen mit dialogischem Lernen, durch intensive Forschung vielfach bekräftigt, müssten auf die Hochschulen übertragen werden. Es gehe darum, das Zeitbudget der Professoren und ihrer Mitarbeiter – möglichst ohne frontale Vorlesungen – zugunsten des Lernens in kleineren Gruppen auszuschöpfen.

Günther selbst hat sich in antiautoritären Umgebungen stets wohler gefühlt als in starren Hier-archien. Er genoss sein Studium inklusive Diplom am Berliner Otto-Suhr-Institut. Bei den Bonner Politologen, wo er immerhin rund 30 Jahre lang tätig war, eckte er nach eigenen Angaben mit seinen Ideen, den Studenten auf Augenhöhe zu begegnen, häufig an.

Was will er mit seinem Buch erreichen? Keinesfalls eine schnelle Revolution des Uni-Alltags, sondern: „Ich möchte einen Anreiz geben, die Lernbedingungen für die Studenten zu verbessern – und das auf Grundlage von neurobiologischen Erkenntnissen.“

Klaus Günther: Das Hirn der Studierenden – Dialogisches Lernen statt obrigkeitlicher Lehre. Verlag Barbara Budrich, 156 S., 19,90 Euro

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