Die Flüchtlingskrise Europa will sich mit weiteren Milliarden freikaufen

Brüssel · Die Verhandlungen mit Ankara über Maßnahmen gegen den Flüchtlingszustrom kommen voran. Aber ausgerechnet das kleine Zypern droht, die Gespräche scheitern zu lassen.

 Wütet gegen Flüchtlinge: Ungarns Premier Viktor Orban.

Wütet gegen Flüchtlinge: Ungarns Premier Viktor Orban.

Foto: dpa

Nikos Anastasiades gehört im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs nicht gerade zu den Schwergewichten. Der 69-Jährige herrscht als Präsident gerade mal über eine halbe Insel: Zypern ist seit 1983 geteilt, lediglich der südliche Teil gehört seit 2004 der EU an, den nördlichen beansprucht die Türkei für sich.

Dennoch könnte der zyprische Staatschef den Deal der EU mit Ankara beim Brüsseler Gipfeltreffen am kommenden Donnerstag und Freitag zu Fall zu bringen. Gestern kündigte Anastasiades bei einem Besuch von EU-Ratspräsident Donald Tusk an: „Zypern wird nicht der Öffnung neuer Verhandlungskapitel zustimmen, solange die Türkei ihre Verpflichtungen nicht erfüllt.“

Ein solches Veto würde ausreichen, um die Förderung des türkischen Premiers Ahmet Davutoglu für zügigere Beitrittsverhandlungen zu Fall bringen.

Die Insel-Regierung fordert ein spürbares Entgegenkommen. Ankara müsse erlauben, dass zyprische Schiffe und Flugzeuge wieder türkische Häfen und Airports ansteuern dürfen. Die Regierung am Bosporus schweigt bisher dazu.

Dabei scheinen die übrigen Gespräche für eine Abmachung zur Eindämmung des Flüchtlingszustroms einigermaßen gut voranzukommen. Inzwischen zeichnet sich ab, wie die von den Europäern angestrebte Lösung aussehen könnte. Ab einem bestimmten Stichtag schließt Ankara seine Grenzen, die Flüchtlinge, die bis dahin auf den griechischen Inseln ankamen, werden nach Athen gebracht. Ab dann nimmt Ankara jeden Hilfesuchenden, der in Lesbos, Chiros oder auf einem anderen Eiland landet, zurück.

Im Gegenzug darf ein syrischer Auswanderer per Flugzeug direkt in die EU reisen. Die Auswahl treffen Experten des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR). Parallel dazu soll die Lage in Idomeni entspannt werden – durch neue Unterkünfte (für die die EU sechs Milliarden Euro zu zahlen bereit ist) und durch eine weitere Verteilung in Richtung EU-Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung zeigte sich überzeugt, dass das bereits von allen Ländern bewilligte Kontingent von 160 000 nicht überschritten wird.

Skepsis bleibt allerdings. Nicht nur Frankreichs Staatspräsident François Hollande, sondern auch zahlreiche weitere Amtskollegen betonten in den zurückliegenden Tagen, dass sich Ankara verpflichten müsse, die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen einzuhalten – dazu zählt nicht nur die humanitäre Aufnahme, sondern auch die Zusage, die Flüchtlinge nicht in Länder abzuschieben, in denen Gefahr für ihr Leben droht.

Der eigentliche Knackpunkt der Verhandlungen aber blieb bisher noch ungelöst: Die türkische Forderung nach Visa-Freiheit für Reisen in die EU löst Ängste aus. Pessimisten warnen bereits vor einer neuen Welle von Zuwanderern, wenn sich nach einem Wegfall der Einreise-Formalitäten ab Juni Hunderttausende Türken Richtung EU aufmachen könnten.

Hinzu kommen die Befürchtungen der Innenpolitiker, die Kontrollen könnten am Ende zu lasch ausfallen und Terroristen nach Europa kommen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière fordert deshalb: „Für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, gegen kriminelle Banden und illegale Migration ist es notwendig, das wir künftig Zeitpunkt und Ort der Ein- sowie der Ausreise von Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum erfassen.“ Doch für ein solches Reiseregister müsste Ankara seine Pässe mit biometrischen Daten zumindest um Fingerabdrücke erweitern.

Die Hoffnung auf eine gute europäische Lösung des Flüchtlingsproblems erlitt gestern allerdings einen Rückschlag. Ungarns Premier Viktor Orbán schimpfte einmal mehr auf die Migranten und indirekt auch auf Deutschland, als er vor Plänen zur „Zerstörung Europas“ warnte, die von „Ritten unverbesserlicher Kämpfer für die Menschenrechte“ geschmiedet würden.

„Wenn wir die Völkerwanderung stoppen wollen, müssen wir Brüssel bremsen“, erklärte er weiter. Es gehe darum zu verhindern, dass „Banden Jagd auf unsere Frauen und Mädchen machen“.

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