Interview mit NRW-Kriminaldirektor „Morde waren schlecht für das Geschäft der Mafia“

Bonn · Nach der Razzia bei der Mafia in Deutschland und Italien spricht Kriminaldirektor Thomas Jungbluth im Interview über die Aktivitäten der Mafia in NRW, ihre Geschäftskonzepte und Ermittlungserfolge der Polizei.

Herr Jungbluth, wie präsent ist die Mafia in NRW?

Thomas Jungbluth: Wir haben aufgrund von Ermittlungsverfahren und Analysen in den vergangenen Jahren Anhaltspunkte dafür, dass wir Angehörige der vier großen Mafiagruppierungen auch in Nordrhein-Westfalen haben. Wir finden hier insbesondere Mitglieder der 'Ndrangheta, außerdem der Cosa Nostra, der Camorra und wohl auch der Apulischen OK.

Gibt es regionale Schwerpunkte der kriminellen Organisationen?

Jungbluth: Von regionalen Schwerpunkten kann man nicht sprechen. Aber die 'Ndrangheta ist viel im westlichen Ruhrgebiet tätig, sie ist hierzulande vor allem durch die Duisburger Morde 2007 bekannt geworden. Die Cosa Nostra ist vor allem im Kölner Bereich aktiv, dort gibt es große Ermittlungsverfahren im Bereich Baustellenmafia. Von der Camorra kennen wir einige Ableger im östlichen Ruhrgebiet.

In welchen Kriminalitätsfeldern ist die Mafia denn aktiv?

Jungbluth: Neben der Baustellenmafia gibt es als klassische Delikte den Kokainhandel und Kfz-Verschiebungen. Daneben verübt die Mafia aber auch einige Gewalttaten, das zeigt insbesondere das Beispiel Duisburg, wo sechs Menschen starben. Es gab vor ein paar Jahren auch den spektakulären Fall eines Deutschen, der im Verdacht stand, Auftragsmorde für die Mafia verübt zu haben. Er hat in der Zelle Suizid begangen.

Im aktuellen Fall soll die 'Ndrangheta ihre Finger unter anderem im Geschäft mit Brot und Wein gehabt haben. Was heißt das konkret?

Jungbluth: Generell versucht die Organisierte Kriminalität, ihre Taten so zu verüben, dass die Strafverfolgungsbehörden ihr nicht auf die Spur kommen können. Dafür sind Gewalttaten wie die in Duisburg eigentlich kontraproduktiv. Das hat auch die 'Ndrangheta erkannt, für die die Morde schlecht fürs Geschäft gewesen sind. Die Kriminellen setzen auf Taten, die große Gewinne versprechen und bei denen das Entdeckungsrisiko gering ist. Da ist die Baustellenmafia ein gutes Beispiel. Ebenso die Gastronomie im Verfahren der italienischen Kollegen: Dort werden Gastwirte zum Beispiel gezwungen, Produkte bei einem bestimmten Unternehmen abzunehmen.

Gibt es weitere Aktivitäten der Mafia hierzulande?

Jungbluth: Wir kennen Deutschland als Tatort für Delikte und Gewalttaten, aber auch als Rückzugsraum für Personen, die sich hier versteckt halten. Seit 2015 haben wir in NRW insgesamt 105 mutmaßliche Mafiosi festgenommen aufgrund von eigenen Ermittlungsverfahren oder von Rechtshilfeersuchen aus Italien. Wir kennen Nordrhein-Westfalen auch als Transitland, über das Rauschgift aus den Niederlanden nach Italien geschafft wird. Und wir setzen uns immer wieder mit dem Thema „Deutschland als Investitionsland“ für die Mafia auseinander.

Wie viele Mitglieder hat die Mafia in NRW?

Jungbluth: Wir kennen ungefähr 100 Personen, von denen wir vermuten, dass sie Angehörige der italienischen Organisierten Kriminalität sind. Allerdings können wir nicht zwingend nachweisen, dass sie schon Straftaten begangen haben.

Und die Delikte?

Jungbluth: Die sind schwer zu quantifizieren. Wir haben zwischen 2009 und 2016 insgesamt 43 Ermittlungsverfahren bearbeitet, die sich mit der italienischen Organisierten Kriminalität beschäftigt haben. Alle Fälle müssen wir uns wie die Kölner Polizei bei der Baustellenmafia durch Analysen und Ermittlungen selbst erschließen. Anzeigen wie beim Wohnungseinbruch gibt es nicht. In Nordrhein-Westfalen haben wir 16 besondere Dienststellen für die Organisierte Kriminalität, darunter in Köln und Bonn. Insgesamt beschäftigen sich damit etwa 500 Ermittler.

Warum ist NRW für die Mafia so attraktiv?

Jungbluth: Nordrhein-Westfalen ist ein Land mit einer sehr guten Infrastruktur und einer sehr guten Wirtschaftsstruktur. Hier sind im Zuge der Gastarbeiterbewegung viele italienische Gemeinschaften entstanden. Das macht es für die Organisierte Kriminalität interessant, hier aktiv zu werden.

Wie sehen denn die Gegenstrategien der Polizei aus?

Jungbluth: Wir versuchen im Prinzip, auf mehreren Säulen zu arbeiten: Wir setzen stark auf Auswertung und Analyse, um Ermittlungsverfahren zu generieren. Dann bauen wir stark auf Kooperationen auf nationaler und internationaler Ebene. Das klappt im Kern auch gut, von den Italienern würden wir uns manchmal aber noch mehr Hinweise wünschen, um mehr Verfahren einzuleiten.

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