Neues Gutachten zu Vorfällen in Duisburg Diese Fehler führten zur Loveparade-Katastrophe

Duisburg · Neues Gutachten zur Loveparade-Katastrophe: Schlecht geregelte Besucherströme und unrealistische Einsatzszenarien. Die Fehlerliste zu den dramatischen Ereignissen in Duisburg ist lang.

 Kurz vor dem Unglück bei der Loveparade stehen Menschen dicht gedrängt an einem Tunnelausgang in Duisburg.

Kurz vor dem Unglück bei der Loveparade stehen Menschen dicht gedrängt an einem Tunnelausgang in Duisburg.

Foto: dpa

Zur Katastrophe auf der Loveparade in Duisburg vor sieben Jahren ist es möglicherweise auch wegen einer lang anhaltenden Kapazitätsüberschreitung der Anlagen und des Veranstaltungsraumes gekommen. Darüber hinaus seien die im Vorfeld geplanten Maßnahmen, um solche Überbelastungen zu verhindern, nicht geeignet gewesen. Davon sei, so die vorläufigen Erkenntnisse, die Hauptgefährdung für die Besucher ausgegangen, heißt es in einem 2000 Seiten umfassenden Gutachten der Staatsanwaltschaft zur Loveparade-Katastrophe, das unserer Redaktion vorliegt.

Die Expertise untersucht, welche Fehler die Verantwortlichen bei der Planung und Genehmigung im Vorfeld des Festivals mit 21 Toten und mehr als 650 Verletzten gemacht haben. Für das Gutachten, das vom Sicherheitsexperten Jürgen Gerlach erstellt wurde, wurden Tausende Aktenseiten und rund 300 Stunden Videomaterial gesichtet – und das innerhalb eines Jahres von Juli 2016 bis September 2017. Das Gutachten wurde erst vor wenigen Tagen fertiggestellt.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft stützt Gerlach die Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters. Die Angeklagten müssen sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Der Prozess beginnt am 8. Dezember. Nicht auf der Anklagebank sitzen der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Veranstalter-Chef Rainer Schaller. Das Gutachten beschreibt den Weg in die Katastrophe.

Eine wichtige Rolle spielen in dem Gutachten die Vereinzelungsanlagen, die an neuralgischen Punkten des Veranstaltungsraumes den Besucherfluss lenken sollten. Diese Anlagen seien allerdings unangemessen aufgebaut worden. Besonders bei der Bemessung der Engstellen im Zugangs- und Abflussbereich der Besucherströme seien diesbezüglich Planungsfehler begangen worden. Aus Sicht des Gutachters sei es nicht nachvollziehbar, dass die Zufluss-Vereinzelungsanlagen West (Engstelle mit einer Breite von 6,3 Metern) und Ost (2,7 Metern) zum Teil sehr unterschiedlich ausgefallen und nicht breit genug gewesen seien.

Dabei sei zu erwarten gewesen, dass die Besucher von beiden Seiten aufs Veranstaltungsgelände strömen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: Die Vereinzelungsanalgen waren für die erwarteten Besuchermengen nicht ausreichend. Auch der Tunnel, durch den die Menschen zum Festivaleingang gehen mussten, wird in dem Gutachten thematisiert. Der Weg durch die enge Röhre war der einzige Ab- und Zugang zum Gelände – ein Gefahrenpunkt. Man habe die Gefahr von Stockungen und Rückstaus im Tunnelbereich bei den Planungen möglicherweise unterschätzt. Zwar habe man erkannt, dass es zu Stockungen kommen könne, daraus aber nicht die richtigen Schlüsse gezogen.

Stockungen durch temporäre Schließungen der Vereinzelungsanlagen und eine sogenannten Tunnelpatrouille zu verhindern, wie es das Konzept für den Ernstfall offenbar vorsah, hätten Stauungen laut Expertise nicht vermieden. Der Einsatz einer Tunnelpatrouille (geplant waren dafür 16 Ordner) zur Gefahrenabwehr hätte ohnehin vorausgesetzt, dass der Tunnel zu keinem Zeitpunkt überfüllt gewesen wäre, weil die Kräfte in diesem Fall gar nicht hätten reinkommen können. Außer Acht gelassen wurde im Sicherheitskonzept für den Tunnel offenbar auch das Risiko, dass es beim abfließenden Besucherstrom, der auch durch den Tunnel musste, zu Staus kommen würde.

Bis heute ist nicht geklärt, wie viele Besucher auf der Loveparade waren. Möglicherweise waren es deutlich weniger, als von den Veranstaltern erwartet worden waren. Der Analyse zufolge sollen bis 17.10 Uhr „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ maximal 118.000 Gäste auf der Eventfläche gewesen sein. Im Vorfeld hatte eine Prognose mit rund 290.000 Besuchern zu diesem Zeitpunkt kalkuliert. Ein Insider sagt: „An all den Punkten sieht man, dass die Loveparade fehlerhaft geplant worden ist – und dafür mussten Menschen ihr Leben lassen.“

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