Sicheres Herkunftsland De Maizière will trotz Anschlag nach Afghanistan abschieben

Berlin · Realpolitik oder Zynismus? Eigentlich sollten Asylbewerber aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden. Der schwere Anschlag in Kabul durchkreuzt die Pläne - aber nur für kurze Zeit und nicht wegen Sicherheitsbedenken.

 Sammelabschiebung nach Afghanistan.

Sammelabschiebung nach Afghanistan.

Foto:  Daniel Maurer/Archiv

Wegen des schweren Anschlags in Kabul hat die Bundesregierung einen Abschiebe-Flug nach Afghanistan verschoben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will aber weiter abgelehnte Asylbewerber dorthin zurückschicken.

Er sagte in Berlin, angesichts des Anschlags hätten die Mitarbeiter der Botschaft in Kabul derzeit Wichtigeres zu tun als sich mit Abschiebungen zu beschäftigen. "Deshalb habe ich entschieden, diesen Flug abzusagen. Er wird aber bald möglichst nachgeholt." An der generellen Linie der Regierung in dieser Frage ändere sich nichts. Die Opposition und die Organisation Pro Asyl reagierten empört und warfen de Maizière Zynismus vor.

Bei einem verheerenden Bombenanschlag in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul waren am Mittwoch mindestens 80 Menschen getötet worden. Rund 350 weitere wurden verletzt. Auch ein afghanischer Wächter der deutschen Botschaft kam ums Leben, zudem wurden mehrere Bedienstete verletzt. Das Hauptgebäude der Botschaft im schwer gesicherten Diplomaten- und Regierungsviertel wurde massiv beschädigt.

Bisher hat Deutschland in fünf Sammelflügen 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. Der nächste Sammelflug hätte eigentlich an diesem Donnerstagmorgen in Kabul landen sollen. Die Abschiebungen sind hoch umstritten, weil sich in Afghanistan der Konflikt zwischen Regierung und radikalislamistischen Taliban verschärft und es landesweit Gefechte und Anschläge gibt.

De Maizière sagte zu der kurzfristigen Absage des Fliegers: "Es ist keine Veränderung der generellen Linie, sondern es ist eine Entscheidung, die den Umständen des heutigen Tages geschuldet ist." Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und er seien sich einig, "dass in maßvoller, bestimmter Weise Rückführungen nach Afghanistan zumutbar und notwendig sind". Das betreffe insbesondere Straftäter. Bei dieser Linie werde es bleiben.

Menschenrechtsorganisationen, Verbände und Oppositionspolitiker fordern schon seit längerem einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan. Das fordern sie nun umso eindringlicher.

Der Grünen-Politiker Volker Beck sagte der dpa: "In ein Land, wo sogar die deutsche Botschaft Anschlagsziel ist und ihre Mitarbeiter dabei verletzt werden, kann man keine Menschen zurückführen." Die tragischen Ereignisse am Mittwoch in Kabul müssten zu einem Umdenken führen. "Alles andere wäre menschenrechtlich unerträglich und sicherheitspolitisch grundverkehrt."

Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth kritisierte: "Wenn die Bundesregierung jetzt die Abschiebungen nur übergangsweise aussetzen will, ist das schlichtweg zynisch." Abschiebungen nach Afghanistan würden auch dann nicht menschlicher, wenn man sie um ein paar Tage verschiebe. "Niemand ist in Afghanistan sicher - nicht heute, nicht nächste Woche und auch nicht in absehbarer Zeit."

Linksfraktionsvize Jan Korte sagte, der Anschlag zeige, wie haarsträubend falsch die Abschiebepolitik sei. "Wider besseres Wissen so weiterzumachen, wäre zynisch und menschenverachtend."

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl forderte eine umgehende Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan. Dass es überhaupt Abschiebungen in das Land gebe, sei ein Skandal.

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