Nach dem Anschlag in Berlin Wie Europas Metropolen mit dem Terror umgehen

Berlin · Brüssel, Paris, Istanbul: Viele europäische Millionenstädte waren in den vergangenen Monaten das Ziel von Anschlägen. Wie gehen die Menschen dort damit um? Und wie wappnen sich die Behörden? Ein Überblick.

 Türkische Sicherheitskräfte sichern das Areal um die Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul.

Türkische Sicherheitskräfte sichern das Areal um die Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul.

Foto: dpa

BRÜSSEL, BELGIEN

Mit Westen und Maschinenpistolen bepackte Soldaten auf den Straßen und in der U-Bahn, gepanzerte Fahrzeuge auf öffentlichen Plätzen - es sind die Schutzmaßnahmen, die allen zeigen: Es ist noch immer nicht sicher in Brüssel. 32 Menschen rissen die Selbstmordanschläge auf den Flughafen und die Metro am 22. März in den Tod. „Die größte Veränderung gab es für die Bürger“, sagt Benoit Ramacker, Sprecher des Krisenzentrums beim Innenministerium. „Sie müssen mit der Terrorbedrohung leben.“ Und zwar wohl auf Dauer.

Die Polizeipräsenz auf den Straßen ist laut Ramacker erhöht, die Rechte der Polizisten sind ausgeweitet worden. Die Armee schützt strategische Einrichtungen wie den Flughafen und öffentliche Gebäude. Einiges gilt schon seit den Terroranschlägen von Paris im Januar und November 2015, und fast alles wird nach Einschätzung der Behörden vorerst so bleiben. Zur Überprüfung von Reisenden des Schnellzugs TGV sollen ab Anfang 2017 dauerhaft Sicherheitsschleusen an den Bahnhöfen Brüssel-Süd, Antwerpen und Lüttich aufgestellt werden. „Es ist zu früh, die Gefahrenstufe zu senken“, sagt Ramacker. Sie liegt seit kurz nach den Anschlägen bei der zweithöchsten Stufe drei.

Dennoch lernt Belgien, mit der Gefahr zu leben. Die Zelte zur Vorüberprüfung der Fluggäste am Airport Zaventem sind wieder abgebaut, die Zahl der Passagiere ist - nach einem drastischen Rückgang im Frühjahr - im November erstmals wieder gestiegen und lag sogar 2,9 Prozent über Vorjahresniveau. In der Weihnachtszeit drängen sich wieder Menschenmassen auf der Grand Place, um das berühmte Advents-Lichtspektakel dort zu bewundern. Anders als im vergangenen Jahr, als Terrorfurcht die Behörden zur Absage zwang, soll es in diesem Jahr dort auch wieder das traditionelle Silvesterfeuerwerk geben - „jedenfalls nach jetzigem Stand“, wie Ramacker sagt.

ISTANBUL, TÜRKEI

Einst gehörte Istanbul zu den beliebtesten Zielen für Städtereisen. Die weltweit einzige Metropole auf zwei Kontinenten war im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas. Doch die Millionenstadt ist in diesem Jahr zum Ziel einer ganzen Reihe von Anschlägen geworden, bei denen Dutzende Menschen starben - darunter auch Deutsche. Für einige der Bluttaten machte die Regierung die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich, zu anderen bekannte sich die TAK, eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Die Besucherzahlen sanken dramatisch. Vor Sehenswürdigkeiten wie der weltberühmten Hagia Sophia bilden sich heute kaum noch Schlangen. Früher mussten Touristen dort lange anstehen. Die Polizeipräsenz wurde sichtbar erhöht. An einigen Punkten wurden die Kontrollen verschärft, etwa an der Einfahrt zum Atatürk-Flughafen, der im Juni von einem IS-Kommando angegriffen wurde.

Der Terror und nicht zuletzt auch der blutige Putschversuch von Mitte Juli hat besonders westliche Ausländer, die mit Familie und Kindern in Istanbullebten, zum Wegzug bewegt. In teuren Innenstadtvierteln stehen zahlreiche Wohnungen leer. Ausländische Einrichtungen wie Konsulate und Schulen haben ihre Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Aus Angst vor Anschlägen meiden einige Ausländer öffentliche Verkehrsmittel wie die Metro.

Auf der zentralen Einkaufs- und Ausgehmeile, der Istiklal Caddesi, war früher am Samstagabend kaum durchzukommen. Seit sich ein Selbstmordattentäter dort in die Luft sprengte, ist die Fußgängerzone deutlich weniger bevölkert. Zahlreiche Geschäfte und Cafés, die auf der Meile horrende Mieten bezahlen müssen, haben in diesem Jahr mangels Kundschaft aufgegeben. Auch im historischen Basar haben viele Läden geschlossen.

PARIS UND NIZZA, FRANKREICH

Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt denken viele Franzosen auch an das verheerende Attentat von Nizza. Am Nationalfeiertag (14. Juli) raste ein 31-Jähriger mit seinem Lastwagen über die Strandpromenade und tötete 86 Menschen. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannte sich später zur der Tat.

Seit knapp zwei Jahren wird Frankreich von einer beispiellosen Terrorserie heimgesucht. Sie erschütterte das Land tief, stürzte es aber nicht in eine bedrohliche Krise. Der Staat reagierte - und verhängte den Ausnahmezustand. Das Parlament hat ihn kürzlich bis Sommer kommenden Jahres verlängert. Der Ausnahmezustand gibt den Behörden Sonderrechte, die teils umstritten sind. Durchsuchungen dürfen ohne Richterbeschluss stattfinden. Erst Ende vergangenen Monats nahmen Ermittler mehrere Terrorverdächtige fest.

In der Politik führten die Anschläge zu einem Rechtsruck. Die Regierung wird inzwischen vom früheren Innenminister und „Chefpolizisten“ Bernard Cazeneuve geführt, der im Anti-Terrorkampf in der vordersten Linie stand. Favorit für die Nachfolge des unbeliebten Präsidenten François Hollande im Élyséepalast ist der Konservative François Fillon.

Allen Bedrohungen zum Trotz: „Wir versuchen, damit zu leben“, sagte vor Kurzem ein Besucher des Musikclubs Bataclan. Genau ein Jahr nach den verheerenden islamistischen Anschlägen von Paris mit 130 Toten wurde die Konzerthalle im vergangenen November wiedereröffnet. Die Menschen klatschten und tanzten beim Konzert des britischen Musikers Sting - ein Bekenntnis zum Leben und ein Zeichen gegen die Angst.

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