Kommentar zu den Streiks bei Amazon Verdis Nadelstiche

Meinung | Bonn · Wahrscheinlich werden die meisten Amazon-Päckchen rechtzeitig zu Weihnachten eintreffen. Aber auch Nadelstiche können einen Riesen zum Umdenken zwingen, kommentiert Ulla Thiede.

Verdi streikt bei Amazon, und man fragt sich unwillkürlich: Ist denn schon wieder Weihnachten? Denn es ist das sechste Jahr in Folge, dass Beschäftigte beim US-Versandhandelsriesen zu dieser Jahreszeit die Arbeit niederlegen. Wahrscheinlich werden die meisten Päckchen und Pakete trotzdem rechtzeitig zum Fest an der angegebenen Lieferadresse eintreffen. Dazu werden Schichten einfach doppelt besetzt, um Ausfälle auszugleichen. Außerdem lockt Amazon die Beschäftigten in diesen Wochen mit Boni, damit sie nicht streiken.

Verdis Nadelstiche sind trotzdem wichtig, denn die Dienstleistungsgewerkschaft weist damit gleichzeitig auf den mangelnden Arbeitnehmerschutz und fehlende Mitbestimmungsrechte bei Amazon hin. Bis heute gibt es keinen Tarifvertrag für die etwa 12 000 Beschäftigten in Deutschland. Das hat auch damit zu tun, dass in den Waren- und Lieferzentren vor allem gering qualifizierte Arbeitskräfte tätig sind, die froh sind, überhaupt einen Job zu haben. Und die so wenig verdienen, dass sie das Wenige nicht für den Gewerkschaftsbeitrag aufwenden wollen.

Verdi erklärt, dass es dennoch gelungen sei, den Organisationsgrad bei Amazon zu erhöhen. Betriebsräte habe man überall etabliert oder baue sie gerade auf. Auch knüpft Verdi ein Netz von Kooperationen mit Gewerkschaften in anderen EU-Ländern. Im Mai wurde in Italien weltweit erstmals eine Vereinbarung mit Amazon für die Beschäftigten geschlossen. Auch Nadelstiche können einen Riesen zum Umdenken zwingen, vorausgesetzt, sie werden zahlreich genug.

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