Interview mit Nabu-Expertin Deshalb ist ein kompletter Plastikverzicht der falsche Ansatz

Bonn · Es reicht nicht, nur auf Plastik zu verzichten. Verpackungen müssen künftig insgesamt reduziert werden, warnt die Naturschutzbund-Expertin Katharina Istel. Mit ihr sprach Joshua Bung.

Leben Sie komplett plastikfrei?

Katharina Istel: Nein. Erstens glaube ich nicht, dass das möglich ist. Und zweitens wäre das meiner Meinung nach aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll. Es kommt darauf an, wie man Kunststoff nutzt. Man kann aus Kunststoff langlebige und nützliche Produkte herstellen, doch leider ist er auch die Basis für unsere Einweg- und Wegwerfkultur. Trotzdem ist für mich ein kompletter Verzicht auf Plastik nicht ganz der passende Ansatz.

Wie meinen Sie das?

Istel: Ich selbst versuche, so gut es geht auf Plastik zu verzichten. Plastikverpackungen sind für die Natur aber nicht automatisch schlechter als zum Beispiel Verpackungen aus Papier oder Glas. Hier ist der fossile Energieverbrauch ebenfalls enorm. Es gibt negative Auswirkungen auf Böden, Luft und Gewässer. Ich versuche deshalb, Verpackungen generell zu vermeiden und nicht nur die aus Plastik. Je weniger Verpackung, desto weniger Schaden für die Umwelt.

Trotzdem treibt im Meer hauptsächlich Plastikmüll herum...

Istel: Der Nachteil an diesem Kunststoff ist, dass er nicht biologisch abbaubar ist. Daher ist jeder Kunststoff in der Umwelt ein Problem. Das heißt aber nicht, dass Plastikverpackungen vollständig aus den Regalen der Supermärkte verschwinden und durch Papierverpackungen ersetzt werden sollten. Kunststoff erfüllt die Schutzfunktion für die Lebensmittel häufig umweltfreundlicher als zum Beispiel beschichtetes Papier. Wichtig ist deshalb, generell Verpackungsmaterial zu vermeiden und vor allem dafür zu sorgen, dass künftig keine Verpackungen mehr in der Natur landen.

Wer ist Ihrer Meinung dafür verantwortlich, das Problem zu lösen?

Istel: Da ist jeder in der der Verantwortung. Die Verbraucher müssen darauf achten, dass sie den Plastikgebrauch zu Hause reduzieren. Industrie und Handel müssen sicherstellen, dass Verpackungen nur dort verwendet werden, wo es notwendig ist. Außerdem muss noch mehr recycelt werden als bisher. Aktuell wird nur knapp die Hälfte der Plastikverpackungen recycelt. Das war in der Vergangenheit zwar deutlich schlechter, reicht aber immer noch nicht aus.

Und welche Rolle spielt die Politik?

Istel: Hier wird noch deutlich zu wenig getan. Die deutsche Politik setzt darauf, dass der Markt sich selbst reguliert. Das passiert aber nicht. Ganz im Gegenteil. Ein Beispiel hierfür ist die Quote für Mehrweg-Getränkeflaschen – wiederverwendbare Verpackungen sind nämlich eigentlich die beste Möglichkeit, um Müll zu vermeiden. Deshalb hatte die Bundesregierung schon Anfang der 2000er Jahre eine Mehrwegquote von rund 80 Prozent als Ziel festgesetzt – jedoch ohne Frist und Sanktionen bei Nichterfüllung. Heute liegt die Quote gerade mal bei unter 45 Prozent. Im neuen Verpackungsgesetz, das ab 2019 gilt, hat die Politik die Vorgabe wieder aufgenommen, aber auf 70 Prozent gesenkt. Und vermutlich wird sich wieder einmal keiner dafür interessieren, sobald die Mehrwegquote weiter sinkt. Die Einweg-Lobby freut das sicher sehr.

Immer häufiger gibt es Geschäfte, wo man plastikfrei einkaufen kann. Ein Modell für die Zukunft?

Istel: Ich glaube, dass das die Ausnahme bleiben wird. Dennoch sind diese Läden wichtig, weil sie ein Signal aussenden und die Optionen des verpackungsfreien Einkaufens aufzeigen. Aber Vorsicht vor Trends: Es bringt zum Beispiel nichts, Toilettenpapier aus Bambus im Pappkarton zu kaufen. Das ist für die Umwelt im Endeffekt schlechter als das ganz normale Recyclingtoilettenpapier.

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