Talk in der ARD Lindner und Habeck duellieren sich bei "Anne Will"

BERLIN · Eigentlich wollte Anne Will mit ihren Gästen nach der Hessen-Wahl über die große Koalition sprechen - doch lieber nutzten Christian Lindner und Robert Habeck die Sendung um zu zeigen, wie sehr sie sich als Feindbilder schätzen.

Das Thema

Nach der Landtagswahl in Hessen wollte Anne Will mit ihren Gästen am Sonntagabend darüber sprechen, welche Folge die Ergebnisse für die Bundespolitik haben.

Die Gäste

  • Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und stellvertretender Parteivorsitzender
  • Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Generalsekretärin
  • Robert Habeck (Die Grünen), Parteivorsitzender
  • Christian Lindner (FDP), Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender im Bundestag
  • Christiane Hoffmann, Stellvertretende Leiterin des „Spiegel“-Hauptstadtbüros
  • Hans Vorländer, Politikwissenschaftler

Frontverlauf

Die ersten Minuten ließen befürchten, dass Christian Lindners Jacke das auffälligste in der Sendung bleiben würde. War dies nun ein Sakko oder doch ein Cardigan? Tragen konnte er es selbstverständlich.

Zunächst gab Anne Will den Vertretern der großen Koalition die Möglichkeit, das Ergebnis noch halbwegs schönzureden. Nach Formulierungen wie „Zuerst einmal...“ (AKK) und „Wir haben sehr intensiv diskutiert...“ (Scholz) war klar, dass der Fernsehzuschauer fürs letzte Wochenend-Kaltgetränk zum Kühlschrank gehen konnte, ohne etwas zu verpassen. Scholz hielt Monologe wie Schäfchenzählen, was ihm immerhin seinen einzigen auffälligen Moment einbrachte. Will kritisierte, er gebe immer dieselbe Antwort, woraufhin er erwiderte: Er setze sich nicht in fünf Talkshows und gebe aus Unterhaltungsgründen fünfmal eine andere Antwort.

Zu großer Zuversicht für die große Koalition wollte sich niemand mehr hinreißen lassen. Selbst als Annegret Kramp-Karrenbauer verkündete „Wir stehen zu dieser Koalition und wir wollen sie auch zu einem Erfolg führen“, klang das nicht nach einem großen Bekenntnis, sondern wie der Versuch, eine Ehe zu retten, an die keiner der Beteiligten mehr glaubte. „Es wird nicht mehr heil in dieser Koalition“, sagte „Spiegel“-Journalistin Hoffmann.

Dann aber holte Will zum Glück Lindner und Robert Habeck in die Diskussion. Die beiden duzen sich zwar - dass sie allerdings nicht in Freundschaft verbunden sind, sondern sich als Feindbilder schätzen, wurde schnell klar. „Robert, ist doch alles gut“, sagte Lindner, als die beiden kaum das Diskutieren begonnen hatten. Lindner hatte kürzlich die Politik der Grünen als „cremig“ bezeichnet, das gefiel Habeck nicht so richtig. In der Sendung legte Linder nach und bezeichnete die Grünen als „Klimanationalisten“. Damit meinte er: Die Grünen kümmerten sich lediglich um nationale Maßnahmen beim Klimaschutz, obwohl in Polen zusätzlich verfeuert werde, was Deutschland spart. „Ohne ökonomischen Sachverstand etwas vorantreiben, was dem Klima nicht nutzt", nannte Lindner das. Habeck: „Das ist fachlich nicht korrekt.“ Lindner: „Das behauptest du einfach so.“

Habeck bekam danach Gelegenheit, den Erfolg der Grünen zu erklären: „Menschen erwarten Politik.“ Damit meinte er das Gegenteil von dem, was in seinen Augen gerade die Regierungsparteien machen, indem sie sich zum Beispiel der Autoindustrie unterwerfen. Habeck war in der Runde eindeutig der am wenigsten geschliffene Politiker, hielt sein Wasserglas in der Hand wie in einem Kneipengespräch und ließ es nicht wie die anderen auf dem Tisch stehen. Ob er in fünf Jahren auch noch so auftreten wird oder ihn die Talkshowauftritte bis dahin zermürbt haben?

Hoffmann wollte sich Habecks Analyse zum Erfolg der Grünen nicht völlig anschließen: „Die Grünen sind momentan Projektionsfläche.“ Er gestand ihnen aber auch zu, dass die einstigen verbissenen Ökos weicher geworden sind.

Habeck: „Das nennt man doch nicht „cremig“, sondern Vernunft?“

Da winkte Lindner gleich wieder ab. „Ihr redet nicht über Inhalte.“

Lindner, zehn Jahre jünger als Habeck, wollte ihm deutlich zeigen, wer der alte Polithase von beiden war. Obwohl Lindners Arroganz häufig nervt – unterhaltsam ist sie immer. Habeck hingegen wollte nicht jede verbale Provokation mitgehen: „Ich will diese Sprache raushaben aus der Politik.“ Das erinnerte an die guten alten Streitereien zwischen Kapitalisten und Ökos, bevor die AfD immer mehr Aufmerksamkeit zog.

Anne Will verlor teilweise die Kontrolle über die Diskussion, weil jeder jetzt doch unbedingt noch etwas sagen wollte. Zum Glück für sie stimmte die Runde zum Schluss routiniert den Evergreen deutscher Polittalkshows an: das Ende von Angela Merkel. Das war das Signal für den Zuschauer: Kaltgetränk leeren und ab ins Bett.

Erkenntnis

Für eine Unterhaltungssendung ist es besser, Christian Lindner einzuladen als ihn nicht einzuladen.

Satz des Abends

„Zwei Trinkende, die sich aneinanderklammern.“ (Hans Vorländer über CDU und SPD)

Dieser Text ist zuerst auf RP Online erschienen.

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