Candide in der Kölner Oper Reise um die beste aller Welten

Köln · Leonard Bernsteins „Candide“ feiert in Köln eine umjubelte Premiere. In all dem Trubel sind die Hauptfiguren, die sich immer wieder verlieren und unter den merkwürdigsten Umständen wieder zusammenfinden, so etwas wie Fixpunkte.

 Der Philosoph und sein gelehriger Schüler: Alexander Franze (Pangloss, links) mit Gideon Poppe (Candide). FOTO: PAUL LECLAIRE

Der Philosoph und sein gelehriger Schüler: Alexander Franze (Pangloss, links) mit Gideon Poppe (Candide). FOTO: PAUL LECLAIRE

Foto: Paul Leclaire

Vor 300 Jahren starb der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz. Es spricht daher für ein gutes Timing der Kölner Oper, sich am Ende des Gedenkjahres noch einmal kritisch mit den Kerngedanken seiner „Theodizee“ auseinanderzusetzen, in der er die Theorie von der „besten aller möglichen Welten“, die Gott für seine Geschöpfe erschaffen habe, entwickelt. Die erschien dem französischen Philosophen Voltaire unter dem Eindruck der 20 000 Toten des Erdbebens von Lissabon im Jahre 1755 indes arg kühn und abwegig. Seiner Kritik verlieh er in der Novelle „Candide“ Ausdruck. Und rund 200 Jahre später, 1956, schloss sich der Komponist Leonard Bernstein dem Philosophen an, indem er die Schrift in eine „comic operetta“ verwandelte.

Dass Bernstein bei der Uraufführung von 1956 in New York damit einen Flop hinlegte, davon ist in der Kölner Übernahme von Adam Coopers ein Jahr alter Münchner Inszenierung nichts mehr zu spüren. Das Publikum im Staatenhaus bejubelte die inklusive Pause dreieinviertelstündige Weltreise des jungen Candide sehr ausgiebig.

Damit der Zuschauer auf den verschlungenen Wegen, die Candide in wechselnder Begleitung zurücklegt, den Überblick behält, hat Bühnenbildner Rainer Sinell eine historische Weltkarte in die Mitte der mit allerlei hübschen Bildchen versehenen Bühnenrückseite gespannt. Jedes Mal, wenn Candide zu einem neuen Ort aufbricht, saust ein virtueller Pfeil los und landet punktgenau am entsprechenden Fleck auf der Landkarte. Der erste Pfeil bleibt an einem Ort mitten in Westfalen stecken, wo Candide wohlbehütet als „illegitimer Neffe“ des Barons Thunder-ten-tronckh aufwächst und gemeinsam mit dessen Kindern Cunegonde und Maximilian unter Anleitung des Philosophen Dr. Pangloss in dem Glauben erzogen wird, eben in der besten aller möglichen Welten zu leben. Die unfreiwillige Versuchsreihe zur Überprüfung der These beginnt, als Candide und Cunegonde bei einem Kuss ertappt werden und der junge Held daraufhin verstoßen wird und alsbald der bulgarischen Armee beitritt, die wiederum seine alte Heimat verwüstet.

Die Abenteuer, die ihm, Cunegonde und auch ihrem Lehrer Pangloss danach widerfahren, und die sie nach Lissabon, Paris und Argentinien führen, bevor sie über Eldorado in Venedig ankommen sind so absurd und abgedreht, dass man sie eigentlich nur als schrille Revue inszenieren kann, was Cooper auf der wie eine Manege wirkenden Holzbühne unter Aufbietung von bunt ausstaffierten Tänzern, zahlreichen Nebenrollen und Choristen auch brillant macht. Die wunderbaren Kostüme für sie hat Alfred Mayerhofer entworfen.

In all dem Trubel sind die Hauptfiguren, die sich immer wieder verlieren und unter den merkwürdigsten Umständen wieder zusammenfinden, so etwas wie Fixpunkte. Auch musikalisch. Gideon Poppe, der die optimistische Naivität Candides ganz herrlich darstellt, ist ein großartiger Sänger, Emily Hindrichs begeistert nicht nur in der virtuosen, koloraturreichen Arie „Glitter And Be Gay“ als Cunegonde. Alexander Franzen überzeugt als Pangloss und in drei weiteren Rollen, Miljenko Turk als eitler Maximilian, Dalia Schaechter als „Old Lady“ und Nazide Aylin als Paquette. John Heuzenroeder und Lucas Singer schlüpfen souverän in gut ein halbes Dutzend unterschiedliche Rollen.

Wie Bernstein den nicht selten zynischen Witz der Satire überträgt, erlebt man zum Beispiel, wenn die Helden in die Fänge der Inquisition geraten und der Chor (Einstudierung: Andrew Ollivant) ausgelassen singt: „What a day, what a day for an auto-da-fé!“ Das hinter der Weltkarte versteckte Gürzenich-Orchester zeigte unter der Leitung von Benjamin Shwartz schon in der Ouvertüre den knackigen Biss, den es über die ganze Strecke beibehalten sollte.

Weitere Termine: 7., 9., 11., 15. 20., 22., 29., 31.12.2016; 4.,8., 12.1. 2017. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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